Die Taube der Vernunft - Eine Weihnachtsgeschichte.
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am 23.12.2012 um 18:29 (10641 Hits)
Samuel lief einsam am Rhein in Köln entlang.
Es war Heiligabend.
Samuel suchte schon den ganzen Tag nach einem „Plan“ für den heutigen Tag.
Geschwister hatte er keine und sein Vater und seine Mutter waren vor fünf Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.
Seine Freundin Luisa verbrachte Heiligabend bei ihrer Familie in Heidelberg.
Sie hatte Samuel zwar angeboten, sie dorthin zu begleiten, doch Samuel hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass Luisas Mutter Hildegard ihn nicht mochte, weshalb er vorgegeben hatte mit ein paar Freunden an Weihnachten um die Häuser zu ziehen.
Das war allerdings eine Lüge gewesen.
Niemand hatte an diesem Abend Zeit, weshalb Samuel sich dazu entschieden hatte einen ausgiebigen Spaziergang am Rhein zu machen.
Da Weihnachten war, hatte er sich zur Feier des Tages eine Flasche Champagner gekauft.
Diesen trank er nun aus der Flasche, während er sich an eine Absperrung lehnte und mit verträumtem Blick auf den Rhein starrte.
Gerade in diesem Moment müsste Luisa eigentlich sein Weihnachtsgeschenk öffnen.
Bei dem Gedanken an ihr erstauntes Gesicht welches sie gerade machen würde, musste er grinsen.
Er hatte ihr einen Gutschein für ein gemeinsames Wellnesswochenende geschenkt.
Als Schmankerl obendrauf lag aber noch ein weiterer Gutschein in dem Umschlag.
Ein Gutschein für einen Hörtest.
Samuel hoffte, dass Luisa und ihre Eltern den Humor dahinter verstehen würden.
Aber eigentlich machte er sich da keine Sorgen.
Eine Taube riss ihn aus seinen Gedanken.
Sie pickte auf seinem Schuh herum.
Normalerweise hätte Samuel sie verscheucht, doch heute war Weihnachten, da durfte die Taube das.
Ein seeliges Lächeln lag auf seinen Lippen.
Die Ruhe die heute herrschte, ließ sein Herz erstrahlen.
Heute konnte er sich von dem Stress des Alltags entspannen.
Für Samuel standen in der kommenden Zeit einige wichtige Entscheidungen an.
Blieb er in Köln bei Luisa und ließ eine berufliche Chance die sich im darbot aus, oder setzte er alles auf eine Karte und ging nach Berlin.
Er würde dort um einiges mehr verdienen und die berufliche Perspektive, die sich ihm durch diesen Job bieten würde, könnte ihm bei der Erfüllung seines Lebenstraumes ein Stückchen weiterbringen.
Doch Luisa war seine große Liebe und er plante eine gemeinsame Zukunft mit ihr.
„Und was würdest du machen“, sagte Samuel zu der Taube, die fröhlich um ihn herumspazierte.
Langsam ging Samuel in die Hocke und kniete sich neben die Taube.
Die Taube blieb ruhig und flog nicht davon.
„Du hast diese Sorgen nicht.
Du fliegst einfach davon, wenn es dir danach ist“, sagte Samuel in leisem Tonfall und lächelte die Taube an.
Die Taube pickte nun wieder auf dem Schuh von Samuel herum, doch plötzlich hob sie ab.
Sie stieg ca. 3 Meter in die Luft.
Sie schien nach etwas Ausschau zu halten.
Plötzlich schoss die Taube im Sinkflug in Richtung Boden und landete auf einer Bank, die ein paar Meter neben Samuel stand.
Samuel ging mit langsamen Schritten auf die Bank und die Taube zu.
Gerade als er bei der Bank angekommen war, kletterte die Taube auf die Lehne der Bank und offenbarte worauf sie gesessen hatte.
Es war eine Postkarte.
Auf den ersten Blick war es eine simple Weihnachtskarte, auf deren Vorderseite ein lächelnder Weihnachtsmann abgebildet war.
Samuel wendete die Karte.
Jemand musste die Karte auf der Bank vergessen haben, denn sie war ausgefüllt.
Normalerweise tat Samuel so etwas nicht, aber der Alkohol und die Neugier hatte seine Hemmschwelle gesenkt.
Er begann die Postkarte zu lesen.
„Liebe Isabel,
Ich hoffe du verbringst geruhsame Tage im Kreise deiner Liebsten und hast vielleicht so die Chance, in aller Ruhe die wichtigen Entscheidungen zu treffen.
Ich bitte dich eines nie zu vergessen:
Erfolg und Geld können Liebe nicht ersetzen.
Die Liebe allerdings öffnet dir die Tore zu einer glücklicheren und erfolgreicheren Zukunft.
Alles was du brauchst ist einfach nur Geduld Hase.
Ich wünsche dir frohe Weihnachten und ruf mich an wenn du wieder zuhause bist.
Kuss deine Meike“
Samuel ließ die Postkarte sinken und sah die Taube an.
„Ich habe deine Botschaft verstanden.
Du bist wahrlich ein Weihnachtsengel“.
Er griff in seine Jackentasche und holte eine kleine Packung Butterkekse heraus, die er sich als Proviant für seinen Spaziergang eingepackt hatte.
Vorsichtig zerbröselte er die Kekse auf dem Boden.
„Das ist dein Weihnachtsmahl liebe Taube.
Dich hat der Himmel geschickt.
Ich weiß jetzt was zu tun ist“, sagte er und verschwand.
Er würde nun nach Hause gehen und sich alte Weihnachtsfilme anschauen und sich auf die morgige Rückkehr seiner Freundin freuen.
Morgen würde er ihr sagen, dass er bei ihr Köln bei bleiben würde.
Die Taube hatte ihm bei seiner Entscheidung geholfen.
(Constantin Crusher)