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Beschneidung erst ab 18 Jahren: Juden und Moslems schockiert

Tobias Tscherrig / 16. Jun 2018



Dänemark ist ein zunehmend säkulares Land. 48 Prozent der Bevölkerung sind nicht gläubig.





Dänemarks Parlament muss über ein Verbot von Beschneidungen Unmündiger abstimmen. Das Kindsrecht komme vor der Religion.

In einer Petition fordern Teile der Bevölkerung von Dänemark die Einführung eines Verbots von Beschneidungen bei Minderjährigen. Es ist ein Antrag, auf den die Parlamentsabgeordneten lieber verzichten würden. Bei der Thematik prallen fundamentale Rechtsauffassungen aufeinander: Es geht um ein weitgehend tabuisiertes Menschenrecht gegen Religion.

So wirft die Idee, das Beschneiden von Minderjährigen zu verbieten, unbequeme Fragen in Bezug auf die Menschenrechte und auf die Religionsfreiheit auf.

Kinderrecht versus religiöses Erziehungsrecht

Ein Beispiel für die tabuisierten Kinderrechte liefert die «UN-Konvention über die Rechte des Kindes». Hier ist klar vermerkt, dass die Vertragsstaaten jedem Kind, das sich in ihrer Hoheitsgewalt befindet, seine Rechte zukommen lassen muss. Und das unabhängig von der Religion und unabhängig vom Status der Eltern oder des Vormundes.

Die Konvention geht noch weiter und verlangt:

• «Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Massnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen (...) der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.

• Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

• Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmassnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung (...) zu schützen.»

Trotz dieser klaren Aussagen wird die UN-Konvention bei Beschneidungen bisher nicht angewandt. Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates erwähnte im Jahr 2013 in einer Resolution zum «Recht der Kinder auf körperliche Integrität» nicht nur die Genitalverstümmelung bei Mädchen, sondern auch die Knabenbeschneidung als Grund «besonderer Besorgnis».

Angst vor Alleingang und Bedenken der Sicherheit

Naser Khader, Parlamentsmitglied und Sprecher für Menschenrechte und rechtliche Angelegenheiten der konservativen Partei, befürwortet die Petition. «Die Umsetzung der Petition wird die Rechte der Kinder vor die religiösen Rechte ihrer Eltern stellen», sagte er in der «New York Times.»
Trotzdem wird die Petition im Parlament wohl keine Chance haben. Von den neun politischen Parteien haben drei – darunter zwei Parteien der Regierungskoalition – bereits Stimmfreigabe beschlossen. Zwei Parteien befürworten die Altersgrenze, vier sind dagegen.

«Wir wären ganz alleine und das erste Land der Welt, das diese Richtung einschlägt», sagte der dänische Aussenminister Anders Samuelsen gemäss der «New York Times». «Das macht uns verletzlich und bedeutet, dass die Verbündeten, die uns normalerweise in prekären Situationen helfen, nicht an unserer Seite stehen werden.»

Der dänische Verteidigungsminister Claus Hjort Frederiksen sagt, dass ein Beschneidungsverbot auch Sicherheitsbedenken aufwerfen würde. Das politische Risiko sei hoch. In Zeiten von Fake-News und russischen Troll-Fabriken werde das Einführen einer Altersgrenze bei Beschneidungen die sozialen Netzwerke zum Explodieren bringen.

Juden und Muslime sind entsetzt

Im Gegensatz zu Parlament und Regierung unterstützt die dänische Bevölkerung die Petition. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens «Megafon» hatte ergeben, dass 83 Prozent der dänischen Wähler ein Verbot der Beschneidung von Minderjährigen befürworten.

Diese Unterstützung hat viele dänische Juden und Moslems entsetzt. In Dänemark werden Beschneidungen relativ selten und fast ausschliesslich aus religiösen Gründen durchgeführt. In der «New York Times» sagte etwa Dan Rosenberg Asmussen, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Dänemark, der Vorschlag gehe davon aus, «dass Juden Kinderschänder sind». Ein Verbot werde es der nächsten Generation von Juden erschweren, in Dänemark ein religiöses Leben zu führen.

«Einige Rituale sind zentral für die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl, die Beschneidung ist eines von ihnen», sagte Waseem Hussain, ein Imam des Dänischen Islamischen Zentrums in Kopenhagen gegenüber der «New York Times». Die Petition zeige die Bereitschaft, die Religionsfreiheit anderen Freiheiten zu unterstellen. «Als nächstes könnten die Rechte zu beten, die Bibel zu lesen oder Sonntags in die Kirche zu gehen, zur Diskussion stehen.»

Für den Imam macht der Fokus auf die Säuglingsbeschneidung angesichts Tausender Jahre praktischer Übung und einiger Beschwerden von beschnittenen Männern wenig Sinn. Ausserdem würden Eltern im Leben ihres Kindes auch fast alles andere entscheiden, argumentiert er und stellt die Frage: «Wie viel Freiheit hat ein Kind überhaupt?».

Daneben gibt es in Dänemark auch Stimmen, die enge gesetzliche Grenzen begrüssen, diese aber über Jahre hinweg langsam einführen wollen – damit die religiösen Gruppen Zeit haben, sich der Gesetzeslage anzupassen.

Petition setzt Druck auf

In Dänemark ist jeder Vorschlag, der auf der offiziellen Petitionswebsite des Parlaments mindestens 50'000 Unterschriften zusammenbringt, rechtlich zur Debatte und zur Abstimmung zugelassen. Die Bürgerpetition, die ein Mindestalter von 18 Jahren bei Beschneidungen fordert, hat diese Hürde kürzlich erfolgreich gemeistert.

Das Parlament muss bei der Bearbeitung der Petition aber keine Frist einhalten. Wahrscheinlich wird es das Volksbegehren nicht vor dem Herbst behandeln.

Eine mögliche Altersgrenze bei Beschneidungen wird in Dänemark schon länger kontrovers diskutiert. Allerdings wollte sich keine der grösseren Parteien die Finger verbrennen, niemand trieb das Thema vorwärts. Schliesslich legten Kampagnengruppen wie zum Beispiel «Intact» Druck auf und starteten eine Petition.

Die Dänen sind religionskritisch eingestellt

Dänemark ist ein zunehmend säkulares Land. Der Anteil von Nicht-Gläubigen lag im Jahr 2011 bei 31 Prozent. Sechs Jahre später gaben bereits 48 Prozent der Dänen an, keiner Religion anzugehören. So stand in der Vergangenheit zwar vor allem der Islam im Zentrum der öffentlichen Debatten. Erst kürzlich billigte das Parlament ein Gesetz, welches das Tragen von Gesichtsschleiern in der Öffentlichkeit verbietet. Ausserdem löste die Einwanderungsministerin eine Kontroverse aus, indem sie behauptete, dass fastende Muslime eine Gefahr für die Öffentlichkeit seien.

Daneben debattieren die Dänen aber auch über die Religion im Allgemeinen und schrecken nicht davor zurück, das Christentum in Frage zu stellen. Etwa, als christliche Priester gegen kostenlose Abtreibungsdienste Einspruch erhoben oder sich weigerten, Hochzeiten abzuhalten, bei denen eine der Parteien in der Vergangenheit bereits geschieden wurde.

https://www.infosperber.ch/Artikel/F...a-von-Danemark





*) SIEHE AUCH Jüdische-Allgemeine.de: >> Gesetz gegen die Beschneidung



Island plant Verbot der Brit Mila

Inspiriert wurde der Gesetzesentwurf offenbar von einer Petition, die im Januar in Dänemark von den Beschneidungsgegnern der Gruppe »Denmark Intact« aufgesetzt worden war. Demnach sollen Beschneidungen von minderjährigen Jungen generell verboten werden.





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