Kann die Bundeswehr auch gegen Streiks und Demonstrationen eingesetzt werden? Die Aufstellung einer neuen Reservistengruppe sorgt für Diskussionen Sie nennen sich
Regionale Unterstützungs- und Sicherungskräfte (RSU Kr) und sind Teil der
Umstrukturierung der Bundeswehr, die bereits seit mehreren Jahren im Gange ist. Seit 2007 wurden in
jedem Bundesland, in jedem Regierungsbezirk und in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt sogenannte Landes-, Bezirks-, und Verbindungskommandos installiert. Die Bezirks- und Kreisverbindungskommandos werden dabei jeweils durch 12 Reservisten gebildet. In den über 400 Landkreisen der BRD stehen damit über 4.000 Reservisten unter dem Kommando von Reserveoffizieren.
Die
Informationsstelle Militarisierung e.V. warnt in einer Studie mit dem Titel
“Der neue Heimatschutz der Bundeswehr” vor der Aushöhlung des Verbots, die Bundeswehr im Innern einzusetzen. Diese Tendenz würde durch ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Jahr vorangetrieben (vgl.
Bewaffneter Bundeswehreinsatz im Inneren erlaubt). In der Studie heißt es:
“Die strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit, Armee und Polizei wird dabei als zu überwindendes Problem angesehen. Alle Behörden, Institutionen, Organisationen und Geheimdienste, die kritische Infrastrukturen schützen können, darunter auch die Bundeswehr, sollen zur Verfügung stehen, falls es für nötig erachtet wird.”
Einsatz gegen Streiks nicht ausgeschlossen In der
Antwort auf eine
Kleine Anfrage zu den RSU vom April 2013, welche die Linksfraktion im Bundestag vor einigen Wochen stellte, präzisierte ein Sprecher der Bundesregierung das Interesse der Bundeswehr an den neuen Einheiten: “Es besteht das Interesse der Bundeswehr an funktionierenden und erprobten Kooperationsbeziehungen zu zivilen Stellen und mit Akteuren auf allen Ebenen.” Dabei wurde ein Einsatz der neuen Einheiten bei der Unterdrückung von Streiks im Transport- und Sanitätssektor ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
In der Antwort auf die entsprechende Frage hat die Bundesregierung ausgeführt:
“Die Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterstützung der Bundeswehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist dem jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten.”
Damit liefern sie ihren Kritikern Argumente. Mittlerweile hat sich eine neuere antimilitaristische Bewegung etabliert, die sich besonders der Militarisierung im Alltagsleben widmet. Unter dem Motto “Bundeswehr wegtreten aus dem Jobcentern”
protestiert sie dagegen, dass jungen Erwerbslosen in Veranstaltungen auf Arbeitsämtern die Bundeswehr als Jobalternative nahegebracht wird.
Vom 21. bis 29. Juli ist eine Aktionswoche gegen das Gefechtsübungszentrum in der Altmark bei Magdeburg
geplant. Auf dem 230 Quadratmeter großen Truppenübungsplatz wird auch der Einsatz in Dörfern und Städten geprobt, die in der Heide nachgebaut wurden. In diesem Kontext steht auch die Kritik an der Aufstellung der RSU-Kr (Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte).
Die Indienststellung dieser Reservisten ist Ländersache. In zahlreichen Bundesländern ist sie
weitgehend unbemerkt von einer kritischen Öffentlichkeit vonstatten gegangen. Doch als die RSU-Kr am 14. Juni in Essen aufgestellt wurde, gab es erstmals Proteste von Gewerkschaftern und Antimilitaristen. Rund 50 Menschen beteiligten sich an einer Kundgebung vor der Zeche Zollverein. In einem
Aufruf wird vor der Aufstellung neuer Freikorps gewarnt, die in der Weimarer Republik Streiks und Arbeiteraufstände
blutig niederschlugen. Der antimilitaristische Aktivist Michael Wildmoser erklärt gegenüber
Telepolis, dass die RSU-Einheiten ein Beispiel sind,
wie das Verbot eines Bundeswehreinsatzes im Innern ausgehöhlt wird. Auch die weiteren Termine werden von Protesten begleitet sein, kündigte er an. (
telepolis)
Der neue Heimatschutz der Bundeswehr (imi-online.de) Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte und das Kommando Territoriale Aufgaben als neue Instrumente für den Inlandseinsatz Seit 2003 ist die Bundeswehr auf Transformation ausgelegt. Darunter wird nicht eine Reform mit klar definiertem Start und Ziel, sondern eine ständige Anpassung an die vermeintliche strategische Lage verstanden. Laut Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist der aktuelle Umstrukturierungsprozess der Bundeswehr seit 2011 der letzte Schritt, um sich von den alten Strukturen aus dem Kalten Krieg zu trennen
(1) und eine international einsetzbare Armee für das 21. Jahrhundert zu schaffen.
(…)Für die Überlegungen, wie „Sicherheit“ hier – an der „Heimatfront“ – hergestellt werden kann, wird auch in Deutschland der Schutz Kritischer Infrastruktur ins Feld geführt. Die strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit, Armee und Polizei wird dabei als zu überwindendes Problem angesehen. Alle Behörden, Institutionen, Organisationen und Geheimdienste, die kritische Infrastrukturen schützen können, darunter auch die Bundeswehr, sollen zur Verfügung stehen, falls es für nötig erachtet wird. Ob die Situation, in der der Staat nicht mehr vollends Herr der Lage ist, nun von Terroristen oder Naturgewalten ausgeht, spielt dabei zunächst eine untergeordnete Rolle. In welcher Form die jeweiligen Akteure an- und abrufbar sein, koordiniert und kontaktiert werden sollen, ist Gegenstand umfassender und integrativer Reformen, die auf die Schaffung einer neuen „Sicherheitsarchitektur“ abzielen. In dieser Transformation kämpft auch die Bundeswehr um ihre Rolle als Ordnungsfaktor im Inland.
(…)Trotz aller Umstrukturierungsmaßnahmen bleibt die Rechtsgrundlage für einen Einsatz im Inneren, je nach Standpunkt,
unklar oder stark beschränkt. Die Erfahrung mit Einsätzen der Bundeswehr zur Überwachung von Demonstranten beim G8-Gipfel oder der Schutz der Münchner Sicherheitskonferenz durch Feldjäger, jeweils organisiert über die neu geschaffenen Verbindungskommandos, lässt allerdings vermuten, dass Strukturen, die
jetzt aufgebaut werden,
früher oder später auch ohne klare Rechtsgrundlage für repressive Zwecke zum Einsatz kommen werden.
Forderungen nach einer Legalisierung von Repressiveinsätzen der Bundeswehr im Inneren begleiten die Umstrukturierungsprozesse der Armee bereits seit den 1990er Jahren
(5).
Vorerst werden die juristischen Grauzonen des vom Grundgesetz erlaubten Inlandseinsatzes bis ins Unendliche ausgedehnt. Letztendlich muss klar sein, dass die Gesetzeslage zwar den offiziellen Rahmen für Bundeswehreinsätze im Inneren bildet, in konkreten Fällen aber
politisch und nicht juristisch
über einen Einsatz entschieden wird.
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