Chamenei plant die Alleinherrschaft
Er ist bereits der geistliche Führer Irans, doch das reicht Ajatollah Chamenei offenbar nicht. Statt eines Präsidenten könne auch ein Premier die Islamische Republik regieren, schlug er vor. Damit wäre Widersacher Mahmud Ahmadinedschad entmachtet - und der Weg frei für die Alleinherrschaft.
Politikwissenschaftler haben bereits genug Schwierigkeiten, das politische System der Islamischen Republik Iran in die richtige Kategorie einzuordnen: Das Land ist eine "Republik", die einerseits "islamisch" ist, und in der ein religiöser Gelehrter die höchste Staatsmacht innehat, in der es andererseits einen Präsidenten und ein Parlament gibt und Wahlen stattfinden.
In Zukunft kann eine weitere Besonderheit dazu kommen: die Streichung des Amtes des Präsidenten. Der geistliche Führer Ajatollah Ali Chamenei sagte in einer Rede, wenn man "eines Tages in naher oder ferner Zukunft" das Gefühl habe, anstelle eines präsidentiellen Regierungssystem sei ein parlamentarisches besser geeignet, habe er kein Problem damit. Die Regierung würde dann durch den vom Parlament eingesetzten Premierminister geleitet.
Zwar betonte Chamenei, dass diese Maßnahme, die eine Verfassungsänderung voraussetzt, "wahrscheinlich in naher Zukunft nicht notwendig" werde. Doch seine Aussage ist für viele Beobachter ein ernstes Warnsignal dafür, dass Iran in absehbarer Zeit zu einer Republik mit nur einem Machthaber werden könnte: Chamenei.
Als Ahmadinedschad 2005 bei seiner Amtseinführung zum iranischen Präsidenten die Hand des geistlichen Führers küsste, dachte Chamenei wohl, er habe endlich den richtigen Mann gefunden. Einen Präsidenten, der ihm gehorche und das Land nur noch nach seinem Wunsch regiere. Schon bald sollte der oberste Führer Irans allerdings feststellen, dass er mit seiner Einschätzung nicht ganz Recht hatte.
Religionsführer mit "chronischem Machtkomplex
Trotz vieler Gemeinsamkeiten, vor allem in der Außenpolitik, gab es auch diverse Meinungsunterschiede. Bei der zweiten Amtseinführung von Ahmadinedschad im Juni 2009 küsste der Präsident, anders als beim ersten Mal, nur die Schulter Chameneis. Ein Kuss auf die falsche Stelle, wie Ahmadinedschad kurz darauf zu spüren bekam, als er Wochen später den Schwiegervater seines Sohnes zu seinem Vize ernannte. Esfandiar Rahim Maschaei war unter anderem wegen einer Äußerung über die "Freundschaft" zwischen dem iranischen und israelischen Volk den Ultrakonservativen verhasst. Chamenei legte sein Veto ein.
Seitdem ging es in der Beziehung zwischen geistlichem und weltlichem Führer nur noch bergab. Zu den Höhepunkten der Rivalität gehörte der Streit um den Geheimdienstminister Heidar Moslehi, den Ahmadinedschad im April unbedingt entlassen wollte, was Chamenei aber nicht zuließ.
Abol Hassan Banisadr, der erste Präsident der Islamischen Republik, der wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem konservativen Klerus schnell entmachtet wurde und im Pariser Exil lebt, sagt, dass Ahmadinedschad bei Chamenei in einer "alten Wunde" gerührt habe. "Als Chamenei Präsident war, wurde er vom Revolutionsführer Chomeini ignoriert. Er stand ganz in seinem Schatten. Später wurde er zum Führer, aber Präsident Haschemi Rafsandschani schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. Ähnliches war auch unter dem nächsten Präsidenten Mohammad Chatami der Fall. Und nun widerspricht ihm Ahmadinedschad, der Mann, dem er selbst durch einen großen Wahlbetrug zur Macht verhalf", sagt der Ex-Präsident.
Der an einem "chronischen Machtkomplex" leidende Chamenei habe Ahmadinedschad bisher durch seine Direktiven unter Kontrolle, sagt Banisadr. Langfristig mache es jedoch keinen guten Eindruck, den sogenannten Repräsentanten des Volkes im Schach zu halten.
Die Einführung des Amts des Premierministers soll ein Ausweg aus diesem Dilemma sein: Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der geistliche Führer das Parlament einfacher kontrollieren kann, als einen Präsidenten der behauptet, die Stimmen der Mehrheit der Bürger hinter sich zu haben. Sogar zwischen 2000 und 2004, als die Reformer die Mehrheit im iranischen Parlament besaßen, hatte der Führer kaum Schwierigkeiten, seine Wünsche erfüllen zu lassen. So verhinderte er im Jahre 2000 eine Lockerung des Pressegesetzes - durch einen kurzen Brief an den Parlamentspräsidenten.
Umstrukturierung des ganzen politischen Systems
Für Hossein Bastani, iranischer Journalist und BBC-Kommentator, gibt es noch einen anderen entscheidenden Grund für Chameneis Pläne für die Streichung des Präsidentenamtes: die Proteste nach den jüngsten Präsidentschaftswahlen, die das Regime fast an den Rand des Kollapses brachten. Der iranische Führer habe diese Wahlen kürzlich als ein "herausforderndes Ereignis" bezeichnet und gewarnt, dass diese "Herausforderung nicht der Sicherheit des Landes schaden" dürfe.
Auch wenn Chamenei in seiner Rede über eine mögliche Abschaffung der Präsidentschaft sagte, eine Umstrukturierung werde wohl nicht in naher Zukunft geschehen, sind Ex-Präsident Banisadr und Analyst Hossein Bastani beide der Auffassung, dass es bald dazu kommen wird. Banisadr meint, sobald sich der geistliche Führer stark genug fühle, werde er auf diesen Schritt drängen. Als Hindernis dafür sieht er die durch die internationalen Sanktionen entstandenen wirtschaftlichen Probleme.
Bastani schätzt den Plan als das "wichtigste Lebensprojekt" des 72-jährigen Chamenei ein. Sonst werde dies wohl nie mehr geschehen. Denn "egal wer der nächste Führer der Islamischen Republik sein wird: Er wird gewiss nicht so stark sein wie Ajatollah Chamenei und kaum alle Machtorgane des Landes von der Umstrukturierug des ganzen politischen Systems überzeugen können".
Quelle: http://nachrichten.t-online.de/machtkampf-in-iran-chamenei-plant-die-alleinherrschaft-/id_51049012/index