Obama jagt die Skandaljäger
US-Präsident Barack Obama:
[size=130:fql53kkl]Er wollte alles anders machen als George W. Bush: Barack Obama versprach mehr Transparenz im Umgang mit Regierungsinformationen. Tatsächlich verfolgt er Insider, die Missstände ausplaudern, viel härter als sein Vorgänger. Die Verhaftung im WikiLeaks-Skandal ist nur der bekannteste Fall.[/size]
Brad M. war nicht gerade glücklich beim US-Militär. Er fühlte sich, wie ein Bekannter kolportierte, "sozial isoliert", hatte Ärger mit den Vorgesetzten, war degradiert worden und sollte bald auch noch vorzeitig entlassen werden. Der 22-jährige Gefreite war im Irak stationiert, auf dem US-Stützpunkt Hammer 65 Kilometer östlich von Bagdad. Dort arbeitete er als Datenanalyst mit Top-Secret-Befugnissen.
Es war dieser Job, der ihn in die Klemme brachte.
Erst war es nur eine moralische Klemme. In den Datenbanken des Militärs, berichtete M. nach Angaben des Bekannten, habe er "unglaubliche Sachen, schreckliche Sachen" entdeckt. Sachen, die "in die Öffentlichkeit gehörten und nicht abgespeichert auf einem Server in einem dunklen Raum in Washington".
Eine dieser schrecklichen Sachen sei ein Video gewesen. Darauf zu sehen: der Angriff eines US-Militärhelikopters auf eine Menschengruppe in Bagdad. Bei dem Vorfall kamen im Jahr 2007 zwölf Menschen ums Leben, darunter auch Zivilisten und zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. M. war nach Angaben des Bekannten derjenige, der dieses brisante Video der Website WikiLeaks zugespielt hat. Das Online-Netzwerk hat sich seit 2007 als Plattform für die Enthüllung militärischer und sonstiger staatlicher Geheimnisse profiliert.
Der Informant postet seine Verhaftung auf Facebook
WikiLeaks veröffentlichte das Video im April dieses Jahres und brachte das US-Militär damit schwer in Erklärungsnot. M.'s mutmaßliche Rolle bei der Affäre blieb geheim - bis jetzt.
Denn M.s besagter Bekannter war Adrian Lamo, ein berüchtigter Hacker und Blogger aus San Francisco, der M. nun beim FBI anschwärzte. Er sei "aus Pflichtbewusstsein" seinem "Gewissen" gefolgt, rechtfertigte sich Lamo am Montag auf Twitter. Wie das Pentagon zeitgleich bestätigte, wurde M. schon vor zwei Wochen unter dem Verdacht verhaftet, Militärgeheimnisse weitergegeben zu haben, und sitzt nun in einem US-Gefängnis in Kuwait.
Offenbar scheint er dort immerhin Internet zu haben. Denn auf seiner Facebook-Seite bestätigte M. sein Schicksal inzwischen: "Ich wurde wegen Offenlegung von Geheiminformationen an nicht autorisierte Personen verhaftet."
Der dramatische Fall zeigt, wie aus einer moralischen Klemme schnell eine juristische Klemme werden kann. Mehr noch: Er illustriert ein Phänomen, das Bürgerrechtler in den USA schon länger misstrauisch beobachten - das immer schärfere Vorgehen Washingtons gegen "Whistleblower", also Regierungs-Insider, die Missstände und Staatsskandale ausplaudern.
"Obama setzt das Schlimmste der Bush-Regierung fort"
US-Linksliberale empört das vor allem, da Präsident Barack Obama im Wahlkampf 2008 genau in diesem Bereich einen Bruch mit der harten Politik seines Vorgängers George W. Bush versprochen hatte. M.s Verhaftung bestätige nun einen "zunehmend giftigen Trend", schreibt Jesselyn Radack von der Aktivistengruppe Government Accountability Project (GAP): "Bush schikanierte Whistleblower gnadenlos, aber Obama verfolgt sie strafrechtlich und steckt sie ins Gefängnis." Obama sei "viel härter" als Bush.
Einer der prominentesten Obama-Kritiker in dieser Sache ist Daniel Ellsberg, der wohl ultimative Whistleblower. Ellsberg hatte 1971 die "Pentagon Papers" an die Presse lanciert - interne Memos, aus denen hervorging, dass die Regierung den Vietnamkrieg längst aufgegeben hatte. Dafür wurde Ellsberg jahrelang verfolgt.
"Obama setzt das Schlimmste der Bush-Regierung fort", sagte Ellsberg im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE über die Verfolgung von Whistleblowern. "Diese andauernde Verletzung der Bürgerrechte ist unverzeihlich." Obama habe sich "um 180 Grad gedreht".
Auch WikiLeaks-Gründer Julian Assange hatte erst vorige Woche bei einer Tagung in New York gegen die Linie der Obama-Regierung protestiert. "Die Bemühungen, Whistleblower kaltzustellen, sind wirklich außerordentlich", sagte er - wenige Tage, bevor der Fall M. bekannt wurde. "Es ist sehr beunruhigend." Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt erklärte kürzlich im Interview mit SPIEGEL ONLINE, unter welchem Druck die Enthüller stehen.
Die Kehrtwende kam nach dem Amtsantritt
In der Tat ist M. kein Einzelfall. Während die Bush-Regierung abtrünnigen Insidern das Leben zwar so schwer wie möglich machte, strengte sie nur ein Strafverfahren an: Lewis ("Scooter") Libby, seinerzeit Vizestabschef von Vizepräsident Dick Cheney, wurde für seine Verwicklung in die Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame verurteilt - wegen Meineids, aber nicht wegen Weitergabe von Informationen.
Obama greift dagegen viel strenger durch - obwohl er das Enthüllen staatlicher Fehlgriffe durch Whistleblower vor seinem Amtsantritt noch explizit befürwortet hatte. "Die beste Informationsquelle über Verschwendung, Betrug und Missbrauch durch eine Regierung ist ein aktiver Regierungsmitarbeiter, der gewillt ist, seine Stimme zu erheben", postulierte er damals auf seiner Website. "Solche Akte der Courage und des Patriotismus sollten ermutigt werden, nicht unterdrückt."
Daraufhin schlagzeilte die "Washington Post" noch voreilig-hoffnungsvoll: "Whistleblower könnten einen Freund im Oval Office haben."
Als Präsident sieht Obama das offenbar anders:
?Mitte April klagte die Regierung Thomas Drake, einen Ex-Mitarbeiter der Spionagebehörde NSA, wegen Geheimnisverrats an. Drake hatte noch unter Bush einen Reporter der "Baltimore Sun" über eklatante Missstände bei der NSA unterrichtet. "Unsere nationale Sicherheit erfordert es, dass solches Benehmen energisch verfolgt wird", begründete Staatsanwalt Lanny Breuer vom US-Justizministerium die Anklage. Drake drohen nun bis zu zehn Jahre Haft.
?Obama will James Risen, einen Reporter der "New York Times", zwingen, seine Insider-Quellen für sein jüngstes CIA-Enthüllungsbuch offenzulegen. Risen bekam Ende April eine neue gerichtliche Zwangsvorladung zugestellt, die von Justizminister Eric Holder persönlich abgesegnet war. Risen weigert sich bisher jedoch, der Vorladung - die die Bush-Leute noch hatten verfallen lassen - nachzukommen.
?Brad Birkenfeld kam schlechter weg. Der Ex-Banker hatte den Steuerhinterziehungs-Skandal bei der Schweizer Bank UBS enthüllt. Die Informationen führten dazu, dass UBS der US-Regierung 780 Millionen Dollar Strafe zahlen und die Namen von rund 250 Kunden übergeben musste. Die Regierung revanchierte sich, indem sie Birkenfeld anklagte. Im August 2009 wurde er zu 40 Monaten Haft verurteilt.
?Der frühere FBI-Linguist Shamai Leibowitz wurde Ende Mai zu 20 Monaten Haft verurteilt. Er hatte fünf FBI-Dokumente an einen Blogger weitergeleitet. "Die absichtliche Offenlegung geheimer Informationen ist eine ernste Straftat", erklärte US-Staatsanwalt David Kris. "Die Strafe soll eine Warnung an alle in der Regierung sein, die erwägen, die Geheimnisse unserer Nation zu kompromittieren."
All diese Fälle sorgten bisher kaum für Aufsehen. Die etablierten Medien berichteten nur klein darüber, wenn überhaupt. Doch jetzt kommt der spektakuläre WikiLeaks-Fall und wirft ein Schlaglicht auf Obamas Kehrtwende.
"Ich tat, was ich tun musste"
Der Soldat M. hatte das Video nach Informationen des Magazins "New Yorker" schon im Februar an die Whistleblower-Website geschickt. Es sei aber verschlüsselt gewesen, schrieb das Blatt unter Berufung auf WikiLeaks-Gründer Assange. WikiLeaks habe drei Monate gebraucht, um es zu knacken.
Nach Angaben des Magazins "Wired", das als erstes über die Details der Verhaftung M.'s berichtete, begannen M. und der Hacker Lamo eine Online-Freundschaft. In den Chats habe M. ihm seine Rolle bei der Veröffentlichung des Bagdad-Videos gebeichtet. Als er aber dann mit der Enthüllung von 260.000 Telegrammen der US-Botschaft geprahlt habe, habe Lamo das FBI und die Armee kontaktiert. WikiLeaks dementierte, diese Telegramme erhalten zu haben, und nannte Lamo einen "berüchtigten Straftäter, Informanten und Manipulator".
Auch auf den Blogs, auf Twitter und auf Facebook schlug Lamo Empörung entgegen. "Adrian Lamo", schrieb ihm einer auf Twitter. "zweitklassiger Hacker und erstklassiger Petzer." Lamo antwortete per Facebook: "Ich war es nicht, der M. hinter Gittern gebracht hat. Er hat sich selbst hinter Gitter gebracht. Ich bin über M. und seine Familie tief betrübt. Ich hoffe, sie können mir eines Tages verzeihen, dass ich tat, was ich tun musste."
Quelle : SPIEGELONLINE