Auch Japans heiliger Berg Fuji grummelt
Japans 108 aktive Vulkane sind schlafende Höllen, die jederzeit ausbrechen können, warnt das Meteorologische Zentralamt in Tokio. Jetzt registrierten Wissenschaftler Untergrundaktivität am Fuji. Die Angst ist groß.
TOKIO. Am Sakurajima auf der Südinsel Kyusho, der im vergangenen Jahr mehr als 548 Mal erupierte und wirtschaftliche Schäden in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro anrichtete, wird die Bevölkerung regelmäßig mit Notstandsübungen auf den Ernstfall vorbereitet. Aber der Horror der Nation wäre eine Vulkanwarnung am Berg Fuji – der im westlichen Sprachgebrauch oft als Fujiyama bezeichnet wird. Gut 300 Jahre nach dem letzten Ausbruch am heiligen Berg registrieren Wissenschaftler wieder eine beängstigende Untergrundaktivität. Obwohl die Regierung naturgemäß jede Panik vermeiden will, ist die Lage wohl so bedrohlich, dass sie ein Szenario für den schlimmsten Fall entwickeln ließ. Danach sind 8000 Menschen akut gefährdet, 12,5 Millionen würden gesundheitliche Schäden davon tragen. Bei einer Katastrophe in der gerade bevorstehenden Regenzeit könnten mehr als 11 000 Häuser unter dem Schlamm begraben oder mitgerissen werden. Die nur 100 Kilometer entfernte Metropole Tokio müsste mit wirtschaftlichen Schäden von offiziell geschätzten 20 Milliarden Euro rechnen.
Spätestens seit dem Publikumserfolg des Vulkan-Thrillers "Der große Ausbruch des Fuji-san" zittert Japan jedes Mal, wenn der Heilige Berg grummelt. Vor anderthalb Jahrzehnten hatte der Autor Masatoshi Aira die Nation mit der Vision erschreckt, die Ikone unter Nippons Vulkanen könnte explodieren. Wer dann nicht in der Lava umkommt, stirbt anschließend beim Super-Beben. Diese apokalyptische Zukunft scheint bis heute seriös, weil der Horror-Poet bis zu seiner Pensionierung Mitarbeiter des staatlichen Wetteramtes war, in dessen Kompetenz die Überwachung von Vulkanen und seismologischen Gefahrenpunkten fällt.
Derzeit beschäftigen sich die Wissenschaftler wieder akribisch mit der vulkanischen Gefahr des Fuji, der an klaren Tagen von Tokio aus am südwestlichen Horizont zu bewundern ist. Weil sich eine regionale Katastrophe wie in Island auch in Japan jederzeit ereignen kann, hat die Regierung für diese Woche den Zentralen Ausschuß zur Vorbeugung von Katastrophen einberufen.
Immer wieder werden bedrohliche Signale im Inneren und unterhalb des größten japanischen Vulkans registriert. Anlass ist eine seltsame Häufung von Erdbeben minderer Stärke, die für Magma-Bewegungen in etwa 15 Kilometer Tiefe sprechen. Im Langzeitdurchschnitt wurden bisher zehn Erdstöße pro Monat gemessen, zuweilen aber auch mehr als 30. Um Panik zu vermeiden, beschwichtigen die Experten, es gäbe keinen verlässlichen Grund, an einen spontanen Ausbruch des 3776 Meter hohen Kegels zu glauben. Aber prominente Vulkanologen wie Shigeo Aramaki von der Universität in Tokio räumen ein: "Die Erdstöße bedeuten, es geht da unten etwas vor. Wir halten dies für ein seriöses Anzeichen, auch wenn wir noch nicht wissen, in welche Richtungen die Bewegungen laufen."
Der "schönste Kegel der Welt" bleibt eine unberechenbare Gefahr, auch wenn er seit Menschengedenken erst zehn Mal eruptiert ist – zum letzten Mal 1707, als zwei Wochen lang Asche auf Tokio rieselte. Seither wird der zumeist schneebedeckte Fuji vorwiegend als Wanderziel benutzt. Als unschönen Nebeneffekt hinterlassen die Gipfelstürmer tonnenweise Müll. Die meisten halten den Aufstieg für eine Pilgertour, weil der Berg im Shintoismus einen quasi religiösen Status genießt.
So wundert es nicht, dass beim Fuji der Volksglaube ein "Göttergrollen" fürchtet. Auch Toyohiro Watanabe, Oberhaupt des örtlichen Bergklubs, glaubt, dass der Vulkan mit der Zivilisation grummelt: "Der Berg ist verärgert, weil die Japaner ihn so leicht nehmen, seine Schönheit beschädigen. Er warnt sie mit Erdstößen. Der Fuji ist eine Schönheit, aber dementsprechend launisch und gefährlich. Wenn er wirklich ärgerlich wird, dann müssen mehrere Millionen Menschen sterben." Die Behörden lachen ihn wegen dieser unwissenschaftlichen Personifizierung eines ruhenden Vulkanes keinesfalls aus. Für Juni hat die zuständige Präfektur nun eine Massenübung angekündigt. Alle Bewohner am Fuße des Fuji sollen sich an Evakuierungs-Manövern beteiligen.