Die Befruchtung des Weltalls
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[img_lytebox=Die Sonde „Huygens“ landet auf dem Titan. Eines Tages könnten winzige Sonden auch die Lebenssaat auf andere Planten transportieren.:w2lr82jq]http://www.globale-evolution.de/images/Forum/hb8mfm5f_pxgen_r_1100xa.jpg[/img_lytebox:w2lr82jq]
In ferner Zukunft wird sich die Sonne aufblähen und die Erde in eine Glutwüste verwandeln. Damit das nicht das Ende allen Lebens bedeutet, wollen Forscher andere Planeten „befruchten“.
Planeten, so scheint es, gibt es im Universum zuhauf. In unserer stellaren Nachbarschaft spürten Astronomen bislang 534 Exoplaneten auf. Zwar sind die meisten davon Gasriesen, denn diese lassen sich am einfachsten entdecken. Doch gibt es Grund zu der Annahme, dass sich in ihren Systemen auch kleine, erdähnliche Trabanten verbergen. Eine unlängst im Wissenschaftsjournal „Science“ veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass um jeden vierten sonnenähnlichen Stern in der Milchstraße Planeten von der Größe der Erde kreisen könnten. Solche Welten gibt es also vermutlich buchstäblich wie Sand am Meer.
Nur: Wie viele davon tragen Leben? Das ist die große Frage, mit der sich Astronomen und Astrobiologen heute befassen. Die Antwort ist offen: Es könnte im Universum vor Leben nur so wimmeln. Vielleicht aber müssen für die Lebensentstehung aber so viele günstige Voraussetzungen zusammenkommen, dass der Beginn einer biologischen Evolution ein extrem seltenes Ereignis ist. In diesem Fall wäre unsere Existenz das Ergebnis eines außergewöhnlichen Zufalls.
Leben im All verbreiten
Organismen – insbesondere Intelligenzwesen, die zur Reflexion über das Universum fähig sind und diesem dadurch gewissermaßen ein Bewusstsein seiner selbst verleihen – gelten vielen Forschern als die Krone der kosmischen Schöpfung. Weil jede dieser Spezies aber immerfort existenziell bedroht ist – sei es durch kosmische Katastrophen wie einen Meteoriteneinschlag, Umweltveränderungen auf ihrer jeweiligen Heimatwelt oder, wie im Fall der Menschheit, durch eigenes zivilisatorisches Unvermögen, das sich unter anderem im Bau von Massenvernichtungswaffen äußert –, sollte Leben möglichst weit verbreitet sein, um solche Ausfälle zu kompensieren.
Dafür gibt es jedoch keine Gewähr. Deshalb schlagen einige Forscher vor, das irdische Leben im All zu verbreiten. Ihr Wortführer ist der Chemieprofessor Michael Mautner von der Virginia Commonwealth University in Richmond. „Gelenkte Panspermie“ nennt er den von ihm vorgeschlagenen Prozess (griechisch Panspermie = „All-Saat“, der Begriff bezeichnet die Idee, dass Lebenskeime durch das Weltall treiben und Planeten, auf denen sie zufällig landen, befruchten können). „Die Astro-Ökologie zeigt, dass das Leben in der Milchstraße eine vielversprechende Zukunft haben kann“, schrieb er unlängst in einer Studie im „Journal of Cosmology“. „Ihm diese Zukunft zu sichern kann der menschlichen Existenz einen kosmischen Zweck verleihen.“ Das Leben zu verbreiten sei deshalb ein Gebot der „biotischen Ethik“.
Rettung vor dem endgültigem Untergang
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Nasa In ferner Zukunft wird sich die Sonne aufblähen und die Erde in eine Glutwüste verwandeln
Die gelenkte Panspermie, so Mautner weiter, komme dem Drang des Lebens entgegen, sich auszubreiten, außerdem könnte das irdische Leben so dem endgültigen Untergang durch das Sterben unserer Sonne entgehen, die sich in rund 500 Millionen Jahren langsam zu einem Roten Riesenstern aufblähen wird. Die Erde wird dadurch zu einer unbewohnbaren Glutwüste.
Die gezielte Befruchtung zumindest unserer Milchstraße sei bereits mit heutiger Technik durchführbar. Damit knüpft der US-Forscher an prominente Vorgänger an. Wissenschaftler wie Lord Kelvin (um 1880), Svante Arrhenius (1906) sowie die Astronomen Fred Hoyle – er erfand den Begriff des Urknalls – und Chandra Wickramasinge (ab 1970) glaubten an die natürliche Panspermie und auch, dass die Erde von Mikroben aus dem All besiedelt wurde. Eine gelenkte Panspermie zogen unter anderem der berühmte US-Astronom Carl Sagen und der Mitentdecker der DNS-Doppelhelix, der Biochemiker Francis Crick, in Erwägung. Mautner trat nun zur Realisierung der Idee an. Dazu gründete er 1995 die „Interstellar Panspermia Society“.
Längst entwarf er einen detaillierten Plan zur Ausbreitung von Organismen im All. Für den Transport will er Raumschiffe nutzen, die über Sonnensegel verfügen. Mit Raketen und schließlich beschleunigt durch den Strahlungsdruck der Sonne können sie eine Geschwindigkeit von 150 Kilometer pro Sekunde erreichen. Die interstellaren Reisen dauern dennoch Jahrhunderttausende bis Jahrmillionen. Deshalb müsste für den Anflug die Bewegung der Sterne in dieser Zeit einkalkuliert werden.
Millionen von Kapseln mit Hunderttausend Mikroorganismen
Die Sonden selbst wären winzig, jede hat nach Mautners Plan nur 20 Mikrometer Durchmesser. Dafür ließen sich Millionen solcher Kapseln zu einem Zielstern schicken. Jede davon enthält rund 100 000 Mikroorganismen. Sie könnten in großen Containern gebündelt auf die Reise geschickt und am Ziel freigesetzt werden, abgebremst wiederum von der Strahlung der fremden Sonne. Oder aber sie fliegen, angetrieben von einem Sonnensegel von gerade vier Millimeter Größe, in großen Schwärmen eigenständig los, was laut Mautner die billigere Lösung wäre. Einige sollten dann am Ziel ankommen. Dort würden sie vom interplanetarischen Gas und Staub abgebremst. In einem jungen Planetensystem könnten die kosmischen Samenbehälter in Asteroiden und Kometen eingebettet werden, die sich aus diesem Material bilden, und mit ihnen auf die Oberfläche von Planeten stürzen.
Eine Milliarde Dollar für die Lebensaussaat im All
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[img_lytebox=Können Organismen eine Reise durch die Tiefen des Alls überleben?:w2lr82jq]http://www.globale-evolution.de/images/Forum/hbv2diwq_4d77ba324620_pxgen_r_1100xa.jpg[/img_lytebox:w2lr82jq]
Alternativ ließe sich ein Sondenschwarm einfach in eine Sternentstehungsregion wie die 520 Lichtjahre entfernte Rho-Ophiuchus-Wolke injizieren, in der sich aus dichten Gas- und Staubwolken neue Sonnen bilden. Ein solch großes Ziel wäre nur schwerlich zu verfehlen. Dafür dauert die künstliche All-Befruchtung viel länger und ist von vielen Zufällen abhängig, denn die als Landeplatz für die Lebenssamen geeigneten Planeten müssen schließlich erst noch entstehen. Dieses Manko ließe sich mit einer entsprechend großen Zahl von Raumschiffen kompensieren. Insgesamt, errechnete Mautner, würden ein paar hundert Tonnen mikrobieller Biomasse genügen, um Dutzende neuer Sonnensysteme in einer Sternentstehungsregion zu besiedeln. Als Startkosten schätzt er 10 000 US-Dollar pro Kilogramm Biomasse. „Für eine Milliarde Dollar lässt sich in Dutzenden neuer Sonnensysteme Leben für Äonen aussäen“, resümiert Mautner.
Die Treffergenauigkeit für die Lebenskapseln ließe sich mit weiter entwickelten Technologien steigern. So sind Roboter denkbar, die eine Solarsegel-Kapsel lenken und ihre Bakterienfracht sicher ans Ziel bringen. Zudem könnten riesige Laser, befeuert mit Sonnenkraft, Licht in die Solarsegel strahlen und sie derart beschleunigen, dass sich die Reisezeit der Sonden drastisch verkürzt. In jedem Fall, so Mautner, sei es aber einfacher, Mikroben auf einen solchen Flug zu schicken als Menschen. Sie könnten völlig neue Evolutionsketten in Gang setzen, die im einen oder anderen Fall letztendlich Intelligenzwesen hervorbringen. Der Nasa-Astrobiologe Chris McKay, der Mautners Ideen kritisch beleitet, bemerkt dazu: „Wenn wir uns im Universum umsehen, erblicken wir viele verschiedene Dinge. Doch das einzige, was uns interessiert und was als einziges einen Wert ergibt, ist Leben.“
Nur die harten überleben
Ob irdische Organismen eine solche Reise durch die Tiefen des Alls überstehen können, ist allerdings noch unklar. Am ehesten erscheinen dafür gefriergetrocknete Bakterien geeignet, die in Laborversuchen schon lange Ruhephasen unbeschadet überstanden. Sie gehen bei Stress in eine Überdauerungsform (sogenannte Endosporen über) und werden bei entsprechenden Umweltreizen wieder aktiv. Hoffnung macht ein – allerdings umstrittenes – Experiment, bei dem Forscher Endosporen wieder zum Leben erweckt haben wollen, die 40 Millionen Jahre lang in Bernstein eingeschlossen waren. Den Überlebensrekord hält indes ein Bakterium, das angeblich in 250 Millionen Jahre alten Salzkristallen aus New Mexico ruhte.
Als Pioniere und Wegbereiter sind Cyanobakterien denkbar, die zu den ältesten Lebensformen der Erde zählen. Sie könnten auf den Zielwelten aus giftigen Gasen Sauerstoff erzeugen und so den Weg für eine weitere Evolution bereiten. Womöglich werden sie durch gezielte Genveränderungen für diese Aufgabe noch tauglicher gemacht. Insgesamt will Mautner eine Reihe verschiedener Spezies auf die Reise schicken, die auf der Erde in den unterschiedlichsten Nischen leben – in Gesteinsklüften kilometertief im Erdinnern ebenso wie in Salzseen oder in sauren Gewässern. Die Pionierarten müssten je nach den Umweltverhältnissen auf den Zielwelten extrem niedrige Temperaturen, Hitze von bis zu 140 Grad Celsius, niedrigen Luftdruck oder einen Druck von hunderten Atmosphären überstehen, ebenso klares Wasser, konzentrierte Schwefelsäure oder ein Bombardement mit kosmischer oder radioaktiver Strahlung. Wie immer der zur Fortführung des Lebens auserwählte Planet aussehen mag – einer dieser harten Burschen könnte dort überleben, so wie auch irdische extremophile Bakterien selbst unter härtesten Bedingungen durchhalten.
Nur jungfräuliche Welten werden ausgewählt
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[img_lytebox=Rädertierchen sind sehr robust:w2lr82jq]http://www.globale-evolution.de/images/Forum/hbfe5col_4d77baca4670_pxgen_r_1100xa.jpg[/img_lytebox:w2lr82jq]
Doch Mautner geht noch weiter. „Die gelenkte Panspermie zielt darauf ab, unsere Art des auf Genen und Proteinen beruhenden Lebens zu erhalten und zu verbreiten“, schreibt er. „Als Menschen wollen wir aber auch eine Evolution hin zu bewusstem und intelligenten Leben in Gang setzen.“ Auch dafür hat der Chemieprofessor einen Plan: Nach den Pioniermikroben will er Eier von Rädertierchen zu bereits befruchteten Planeten senden. Diese 0,1 bis drei Millimeter langen mehrzelligen Tierchen sind äußerst widerstandsfähig. Deshalb können sie in vielen Lebensräumen überleben, wobei ihnen arktische Kälte ebenso wenig ausmacht wie die Hitze von Thermalquellen. Sie leben im Meer oder im Süßwasser, und sie sind gleichermaßen in Bäumen, feuchtem Moos oder zwischen Bodenpartikeln zuhause. „Rädertierchen haben den grundlegenden Körperbauplan der höheren Organismen mit spezialisierten Organen“, so Mautner. „Mit ihrer Hilfe lassen sich die Milliarden von Jahren abkürzen, die es auf der Erde dauerte, bis mehrzelliges Leben entstand.“
Was aber, wenn auf einem als Ziel auserkorenen Planeten bereits Leben existiert? Die Ethik verbietet es, ihn mit fremdem genetischen Material zu infizieren. Außerdem könnten die Neuankömmlinge alteingesessene Kreaturen auslöschen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, so Mautner, ließe sich durch die sorgfältige Auswahl der Ziele minimieren. Es dürfen nur junge und damit jungfräuliche Welten angeflogen werden, auf denen Leben noch nicht entstehen konnte. Außerdem seien noch nirgendwo im All Hinweise auf fremde Lebensformen entdeckt worden. Dies, und die Komplexität der irdischen Organismen, würden darauf hindeuten, dass Leben nur sehr selten entsteht, auch wenn viele Milliarden Planeten dafür zur Verfügung stehen. Tauchen dennoch Signaturen fremder Lebensformen auf, etwa in den Spektren der Lufthülle eines Exoplaneten, scheide dieser als Ziel aus. Allerdings muss das Leben auf solchen Welten lange genug existiert haben, um sie messbar zu verändern. Eine gerade aufkeimende Evolution lässt sich mit diesem Verfahren nicht aufspüren.
Sind wir das Produkt einer gelenkten Panspermie?
Weiter könnten wir uns auf eine Auswahl von einigen hundert nahe gelegenen Sonnensystemen beschränken und die Abermilliarden anderer Systeme in der Milchstraße aussparen. Dann blieben potenzielle eingeborene Geschöpfe dort ungestört. Gäbe es aber Leben, das auf einer völlig anderen biochemischen Grundlage beruht als unser Gen-Protein-System, würde es von irdischen Organismen nicht beeinträchtigt. Solche Welten würden dann durch die Ankunft der neuen Lebensformen bereichert.
Überhaupt, so Mautner, sei es unsere erste Pflicht, den Fortbestand unserer Art des Lebens zu sichern. Diese Aufgabe sollten wir in Angriff nehmen, solange es unsere Raumfahrttechnologie gibt. „Wenn wir im All allein sind, liegt das Schicksal des Lebens in unserer Hand“, argumentiert Mautner. „Deshalb sollten wir den Samen des Lebens überall dort aussäen, wo es ein Überlebenspotenzial gibt. Dann könnten unsere Nachkommen so lange existieren, wie das Universum selbst und die Galaxien darin fortbestehen.“ Der biblische Imperativ „wachset und mehret euch“ bekäme eine völlig neue Bedeutung: Der Mensch würde sich beziehungsweise seiner Form des Lebens nicht nur die Erde, sondern viele Welten im All untertan machen.
Stellt sich andererseits heraus, dass es bereits viele bewohnte Trabanten in der Milchstraße gibt, wäre die gelenkte Panspermie unnötig. Dies wäre ein starkes Indiz dafür, dass Leben sehr leicht – vielleicht sogar naturgesetzlich – entstehen und/oder sich durch natürliche Panspermie weit verbreiten kann. Vielleicht kam uns bei der gelenkten Panspermie auch einfach jemand zuvor. Darauf wies der Astronom Sagan bereits 1966 hin. Womöglich, überlegte er damals, hatte eine andere Zivilisation diese Idee schon vor vielen Milliarden Jahren, und unser allererster Vorfahr ist in einem winzigen Raumschiff auf einem öden und unwirtlichen Planeten gelandet, weit entfernt von der Heimstatt seiner Erzeuger.
http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/wissenschafts-dossiers/tid-21617/astronomie-die-befruchtung-des-weltalls_aid_607004.html