Israels mörderischer Militärangriff zwischen Dezember 2008 und Januar 2009 gegen die Palästinenser im Gazastreifen verarbeitet die Norwegerin Vibeke Løkkeberg in der starken Dokumentation „Die Tränen von Gaza“ (Tears of Gaza/Gazas tårer, 2010).
Während des Krieges war es den internationalen Medien verboten worden, den bis heute abgeschotteten Gazastreifen zu betreten. Gemeinsam mit ihrem Mann Terje Kristiansen organisierte Løkkeberg zahlreiche Filmaufnahmen, die den Zuschauer den Krieg aus nächster Nähe miterleben lassen. Der Zuschauer erlebt die volle Grausamkeit hinter den abstrakten Statistiken über den Krieg – 1400 Tote, darunter über 400 Frauen und Kinder, tausende Verwundete, zehntausende zerstörte Häuser.
Im Mittelpunkt des Filmes stehen drei junge Palästinenser: Yahya, Rasmia und Amira. Nach dem Waffenstillstand haben die drei ihre Geschichten erzählt… Sie haben ihre Familien verloren, sind durch den Bombenterror obdachlos geworden. Wasser, Essen, Strom, an allem mangelt es. Ihre Schulen wurden zerstört, selbst jene, die den Vereinten Nationen gehörte; ihre Schulsachen wurden verbrannt.
WSWS führte das folgende Interview mit den Filmemachern Vibeke Løkkeberg (VL) und Terje Kristiansen (TK) bei dem Internationalen Filmfestival Toronto im September 2010.
Ihr habt schon lange mit der palästinensischen Sache sympathisiert. Können Sie über die Geschichte ihres Films etwas sagen?
VL: Wir waren beide immer solidarisch, sind aber nie ins Westjordanland gereist. Das war ein Muss für uns, als wir diesen Krieg in Gaza sahen. Ich war schockiert. Ich griff zum Telefon und rief diese Organisation, Free World, an und bat um Hilfe um im Februar 2009 (einen Monat nach dem Waffenstillstand) nach Gaza zu gehen. Sie haben uns sofort finanzielle Unterstützung zugewilligt und wir sind dann nach Jerusalem, wo wir Treffen im dortigen Pressezentrum, dem Amerikanischen Colony Hotel, abgehalten haben.
Wir hatten Presseausweise und sind zum israelischen Militärbüro, um eine Erlaubnis für die Einreise nach Gaza zu bekommen. Sie haben das völlig rigoros ausgeschlossen. Wenn man eine ehrliche Person ist, ist man verdächtig. Ich kontaktierte dann einen Reporter vom norwegischen Fernsehen, der vor dem Gazakrieg dort ein und ausgehen konnte. Niemand kam rein, außer zwei norwegischen Ärzten, die sagen „es ist schrecklich, es muss gestoppt werden.“
Ich fragte die Leute vom Fernsehen ob sie mit ihrem Team nach Gaza gehen könnten um diesen kleinen Jungen zu filmen, dessen Geschichte ich im Fernsehen gesehen hatte [Yahya]. Ich schrieb die Fragen auf und erklärte, wie sie es filmen sollten. Ich wollte, dass die Zuschauer das Alltagsleben sehen, nicht im Nachrichtenstil, sondern im Film. Die Verantwortliche war erst 22 und sehr aufgeschlossen, sie hat es dann so gemacht, wie ich mir das vorgestellt habe.
Yahya - "Die Tränen von Gaza"
Die Filmaufnahmen von den Bombenangriffen und ihren Folgen habt ihr aus verschiedenen Quellen?
TK: Nur fünf Minuten aus dem ganzen Film stammen aus westlichen Archiven. Der Rest wurde direkt in Gaza von verschiedenen Kameras gesammelt, von Leuten, die dabei waren und das gefilmt haben. Es war nicht leicht all dieses Material zu sammeln. Aber die Menschen in Gaza haben von unserem Filmvorhaben gehört und wollten das dann unterstützen. Über zehn Monate lang haben wir dann Filmmaterial gesammelt. Nachdem der Film Gestalt angenommen hatte, fanden wir, was wir brauchten: Zum Beispiel spricht der Junge von den israelischen Patrouillen in den Gewässern, in denen die Fischer von Gaza arbeiten. Wir brauchten entsprechendes Filmmaterial, und das fanden wir auch. Zu Hause haben wir 150 Stunden einzigartiger Aufnahmen aus dem Gazakrieg.
Wie viele Quellen hattet ihr in Gaza?
TK: Zwischen 15 und 20.
VL: Die Aufnahmen von dem Mädchen das in der UN-Schule bombardiert wurde ist tragisch. Die Leute waren gebeten worden, dorthin zu fliehen. Fünfzig Schulen in Gaza, sie haben sie alle bombardiert. Heute gibt es für die Kinder von Gaza keine Schulen mehr, weil die Israelis ihnen das letzte genommen haben, was sie hatten: Ihre Bildung. Rasmia spricht darüber, wie sie nach Hause kommt und alle ihre Schulbücher sind gezielt verbrannt worden. Die Israelis gehen völlig systematisch dabei vor wie sie den Palästinensern da ihre letzte Waffe nehmen, die sie haben.
Eine der grausamsten Stellen in dem Film ist die, wo man diese drei kleinen Kinder sieht die auf einem freien Feld erschossen wurden. Sie wurden gezielt hingerichtet.
VL: Die haben die ganze Familie genommen und erschossen. Sie riefen „kommt aus dem Haus!“, dann wurden sie erschossen. Wie kann man der Welt nicht zeigen wollen, was in Gaza geschieht?
TK: Als Amira’s Vater erschossen wurde, sagte sie spontan zu ihrem jüngeren Bruder und ihrer kleinen Schwester „lauft, holt einen Notarzt“ – die zwei liefen daraufhin auf die Straße und wurden erschossen. Sie fühlt sich schuldig.
Amira - "Die Tränen von Gaza"
Es war sehr schwer, die Aufnahmen aus Gaza abzuholen. Wir mussten verschiedene Transportmöglichkeiten nutzen, aber es ist offensichtlich, warum wir das nicht näher ausführen können. In einem Fall wurde unsere Vertraute durchsucht und für Stunden verhört.
VL: Sie wird nie vergessen, was sie daraufhin durchmachen musste. Sie brachten sie in einen gruseligen Raum, alle Türen waren schwer vergittert. Als sie sich weigerte, sich auszuziehen, wurde sie in einen anderen Raum geschleppt. (…)
Eine Geschichte über Amira – sie ist 14 Jahre alt – kommt in unserem Film nicht vor. Sie wurde für medizinische Behandlung aus Gaza gelassen, an der Grenze dann aber für viele Stunden verhört. Danach ist es für Palästinenser schwer, nach Gaza zurückzukehren: Die Palästinenser fürchten, wenn man das Gebiet verlassen hat, dass die Person jetzt mit den Israelis arbeitet dafür, dass sie einreisen durfte. Die Israelis drängen regelmäßig diejenigen, die für medizinische Behandlung Gaza verlassen dürfen, mit ihnen zu arbieten – als Spion.
Amira ging dann nach Den Haag, zum Internationalen Gerichtshof. Dort wurde ihr Fall – das Töten von Kindern (ihre Geschwister) durch Israel – angenommen, es hat lange gedauert, wird aber spannend, was sie nun entscheiden werden. Sie ist sehr mutig, und in dem Film sagt sie, dass es ihr Wunsch ist, Rechtsanwältin zu werden um Israel vor Gericht zu bringen.
Sie ist ein schlaues Mädchen. Als sie nach Oslo kam, konnten wir ein Interview mit ihr führen. (…)
Rasmia - "Die Tränen von Gaza"
Wo ist sie jetzt?
VL: Sie wollte zurück nach Gaza, obwohl der Arzt in Oslo versuchte, sie umzustimmen. Sie sagte: „Wenn ich sterbe, möchte ich mit meiner Familie sterben. Ohne meine Familie hat es für mich keinen Sinn – meine jüngere Schwester ist übrig.“ Da sie aber keine Papiere hat – zu keinem Staat gehört – wollte sie niemand lassen. Wir sind mit ihr nach Ägypten, wurden dort aber aufgegriffen weil sie Palästinenserin ist. Erst wollten sie ihr die Einreise nach Gaza verweigern. Wir wurden verhört und nach vielen Stunden konnte sie schließlich zurück nach gaza – nach einer langen und schweren Reise durch die Wüste sahen wir, wie sie reinkam. Dennoch ist die Grenze an sich ein weiterer Albtraum.
Die Produktion dieses Films hat uns verändert. Wir werden nie wieder die alten sein.
Wie sieht es mit den Medien und Zensur aus? Sogar in Israel gibt es mehr Kritik an Israel als in den USA. Das ist einer der Gründe, warum dieser Film sehr wichtig ist.
VL: In dem Film sieht man, dass die Bombardierung von Gaza ein Kriegsverbrechen war. Der Film ist ein Beweis, dass dies ein Kriegsverbrechen gewesen ist.
Die Israelis leugnen, dass sie Bomben mit weißem Phosphor eingesetzt haben, aber in dem Film sieht man sehr deutlich, wie sie es getan haben.
TK: Wir wurden gefragt, warum wir nicht die andre Seite zeigen, die israelische Seite. Aber wenn eine Bombe auf jemandes Kopf landet, gibt es keine „andere Seite“. (…)
Die Israelis haben die Infrastruktur systematisch zerstört. Das Wassersystem, den Baubedarf, alles, was man braucht, um eine Gesellschaft am Laufen zu halten.
VL: Sie haben sogar die Kanalisation bombardiert! Alles geht jetzt direkt in das Mittelmeer. Und dort schwimmen die Menschen. Sie zerquetschen Gaza von allen Seiten.
Phosphorbomben - "Die Tränen von Gaza"
Das wird „Soziozid“ genannt. Das US-Militär hat im Irak das gleiche gemacht.
TK: Darum geben Opferzahlen auch nicht die wirkliche, emotionale Tragweite dieses Verbrechens wieder. Das Hauptziel des Films ist es, die emotionalen Auswirkungen festzuhalten, was es heißt, ein Opfer in einem Krieg zu sein. Bilder können die Geschichte verändern. So schwer es fällt, diesen Film zu sehen, es ist eine harmlose Variante von dem, was wir in unserem Archiv gesammelt haben. Zum Beispiel wurden Bomben zwischen Kindern eingesetzt, die wie Spielzeug aussehen.
VL: Es gibt auch noch etwas anderes, das in diesem Krieg neu war. Das sind Bomben, die gezielt den unteren Teil des menschlichen Körpers zerstören – sodass die Menschen unfruchtbar werden, sich nicht mehr fortpflanzen können. Das ist eine Kollektivstrafe.