Die Regierungsform Venezuelas ist eine Form der
Präsidialdemokratie (das heißt, der direktgewählte Präsident ist gleichzeitig nominelles Staatsoberhaupt und Chef der Exekutive) mit starken direktdemokratischen Elementen, einer komplizierten Gewaltenteilung zwischen den fünf Gewalten Legislative, Exekutive, Judikative, Bürgergewalt (Art. 273-291) und Wahlgewalt (Art. 292-298) sowie zahlreichen Wahlen auf verschiedenen Ebenen. Die neue Verfassung Venezuelas verbietet die Privatisierung der Erdölindustrie und der sozialen Sicherungssysteme, verfügt die kostenlose Volksbildung und Maßnahmen zur Reaktivierung ungenutzten Großgrundbesitzes, respektiert darüber hinaus aber das Privateigentum, auch das Privateigentum an Produktionsmitteln. Der Umbau von Staat und Gesellschaft erfolgte durch plebiszitäre Akte: Bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 1998 entfielen 56 Prozent der Stimmen auf Chávez, im April 1999 stimmten 88 Prozent der Wähler für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, im Dezember desselben Jahres 71 Prozent für die neue Verfassung des nun als „Bolivarische Republik Venezuela“ bezeichneten Staates. In der sog. „
Bolivarischen Verfassung“, mit der die sog. „
Bolivarische Revolution“ umgesetzt werden soll, ist die Gewaltenteilung durch direktdemokratische
Partizipationsmöglichkeiten erweitert: Sowohl die Abgeordneten als auch der Präsident (6-jährige Amtszeit) können ab der Mitte ihrer Amtszeit per Referendum abgewählt werden (Art. 72). Der Präsident ist das
Staatsoberhaupt und der
Regierungschef. Derzeitiger Amtsinhaber ist seit dem 2. Februar 1999
Hugo Chávez, der
Vizepräsident ist nun
Jorge Rodríguez, ehemaliger Präsident des CNE (Wahlbehörde von Venezuela), der somit stellvertretender Staats- und Regierungschef ist.
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Hatte Venezuela 1998 noch 3 Milliarden US-Dollar Schulden bei der
Weltbank, so ist Venezuela seit dem 12. April 2007 mit Tilgung der letzten Rate frei von Schulden gegenüber der Weltbank und dem
Internationalen Währungsfonds. Am 30. April 2007 kündigte der Präsident Hugo Chávez den Rückzug seines Landes aus Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) an, da diese Institutionen „Mechanismen des Imperialismus“ seien. Trotzdem blieb Venezuela Mitglied beider Organisationen.
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Öl für Bedürftige
Die staatliche venezolanische Erdölgesellschaft PDVSA versorgt seit dem Jahr 2005 Bedürftige in den USA in den Wintermonaten mit verbilligtem Heizöl. Im Winter 2007/2008 wurden 112 Millionen Gallonen Heizöl (1 Gallone = 3,8 Liter) zu einem 40 % unter dem Marktwert liegenden Preis in 16 Bundesstaaten zur Verfügung gestellt. Die Verteilung an Bedürftige geschieht in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Sozialorganisation
Citizens Energy.
[37]
Im Februar 2007 wurde ein bereits im Mai 2005 von Hugo Chávez vorgeschlagenes Abkommen zwischen Venezuela und der Stadt
London geschlossen, in dem das staatliche venezolanische Erdölunternehmen Petróleos de Venezuela sich verpflichtet, London bei Öllieferungen einen Preisnachlass von 20 Prozent zu gewähren, um mit den dadurch erzielten Einsparungen von umgerechnet 23 Millionen Euro eine Verringerung der Fahrpreise für Busse und U-Bahnen um 50 Prozent für bis zu 250.000 Bedürftige zu finanzieren. Als Gegenleistung erklärt sich London bereit, Venezuela seine Kenntnisse bei Recycling, Abfallwirtschaft, Verkehrsplanung und der Verringerung des klimaschädlichen CO
2-Ausstoßes zur Verfügung zu stellen. Der Londoner Oberbürgermeister
Livingstone sprach von einem „unglaublich großzügigen Angebot“. Der neue Londoner Bürgermeister
Boris Johnson hat das Abkommen 2008 jedoch wieder rückgängig gemacht „Viele Londoner hätten nicht verstanden, wieso Buslinien in einer der reichsten Städte der Welt von Menschen in einem Land finanziert werden müssen, in dem viele in extremer Armut lebten“ erklärte Johnson. Das Büro in Caracas, das die Zusammenarbeit regelte, werde geschlossen.
[38]
Die Kleinstadt Kaisariani in der Nähe von
Athen soll Heizöllieferungen bekommen, die 30 Prozent unter dem Marktpreis liegen. Nach Angaben des Bürgermeisters der Stadt, Stelios Tzokas, sind die meisten der rund 35.000 Einwohner einkommensschwach und von den gestiegenen Ölpreisen besonders stark betroffen.
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Technologieentwicklung

Logo Canaima GNU/Linux
Im Jahr 2004 verabschiedete die venezolanische Regierung das „Gesetz über Technologie und Information“, das alle öffentlichen Einrichtungen verpflichtet, ihre Rechner auf
freie Software-Angebote umzustellen, wenn geeignete Produkte existieren. Im Jahr 2008 meldete das
Nationale Zentrum für Informationstechnologie (CNTI) entscheidende Fortschritte bei der Umstellung auf freie Software: mehr als ein Drittel aller Bürgermeisterämter haben ihre Computer inzwischen auf den Betrieb mit freier Software umgestellt und es konnten eine Reihe von Kooperationen zwischen neu gegründeten
IT-Unternehmen und öffentlichen Institutionen sowie selbstverwalteten Gemeinden vermittelt werden. Zudem nahmen im Jahr 2008 500 Ausbilder in 400 Gemeinden ihre Arbeit auf, um sowohl Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungen und Unternehmen wie auch die Bevölkerung allgemein zur Arbeit mit freier Software zu befähigen. Ein zentrales Projekt des CNTI ist die Entwicklung des Betriebssystems
Canaima GNU/Linux, einer eigenen venezolanischen
Debian-basierten
Linux-Variante. Auch der wiederverstaatlichte Telefonanbieter
CANTV will auf freie Software umstellen und der staatliche Ölkonzern
PDVSA will in Kooperation mit Kuba ein eigenes Software-Unternehmen gründen. In
Caracas und in
Mérida wurde jeweils eine Akademie für freie Software aufgebaut und zwei weitere Akademien sollen im Jahr 2009 in den Bundesstaaten Falcón und Trujillo eröffnet werden.
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Wirtschaftskennzahlen
Nach Angaben des staatlichen Statistikinstituts (INE) hat sich der Anteil der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Venezolaner von 55,4 % im ersten Halbjahr 1998 auf 28,5 % im zweiten Halbjahr 2009 verringert, der Anteil der unter extremer Armut lebenden Menschen im selben Zeitraum von 24,7 % auf 7,2 %.
[75]
Anteil der in Armut lebenden Personen an der Gesamtbevölkerung |
Jahr |
1998 |
1999 |
2000 |
2001 |
2002 |
2003 |
2004 |
2005 |
2006 |
2007 |
2008 |
2009 |
Quote
2. Halbjahr |
50,4 % |
48,7 % |
46,3 % |
45,4 % |
55,4 % |
62,1 % |
53,9 % |
43,7 % |
36,3 % |
33,6 % |
32,6 % |
28,5 % |
Quelle: INE[75] |
Anteil der in extremer Armut lebenden Personen an der Gesamtbevölkerung |
Jahr |
1998 |
1999 |
2000 |
2001 |
2002 |
2003 |
2004 |
2005 |
2006 |
2007 |
2008 |
2009 |
Quote
2. Halbjahr |
20,3 % |
20,1 % |
18,0 % |
16,9 % |
25,0 % |
29,8 % |
22,5 % |
17,8 % |
11,1 % |
9,6 % |
9,2 % |
7,2 % |
Quelle: INE[75] |
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Bildung
Universidad Central de Venezuela in Caracas
In Venezuela gibt es sowohl ein staatliches als auch ein privates Schul- und Hochschulsystem. Im
lateinamerikanischen Vergleich ist das Hochschulsystem sehr gut, jedoch sind noch deutliche Defizite im staatlichen
Schulsystem zu erkennen. Die
Schulpflicht beträgt neun Jahre, allerdings erfüllten diese 1998 nur etwa 60 % der schulpflichtigen Kinder. Die Analphabetenquote lag im Jahr 1997 unter 10 %
[82]. Die Abgeordnete der Linke, Sahra Wagenknecht, behauptet, die Analphabetenrate sei jetzt kleiner als in Deutschland.
[83] Akademiker wie Francisco Rodríguez, ehemaliger Beamter der Chávez-Regierung, erklären aber, die letzten Statistiken seien Propaganda und es gäbe in Wirklichkeit keine unabhängige Kontrolle.
[84]
Staatliches Bildungssystem
Neben dem privaten, kostenpflichtigen Schulsystem gab es seit 1870 ein kostenloses Schulsystem.
[85] Ab 2003 erweiterte der Staat dieses System mit einem parallelen, sogenannten
bolivarischen Schulsystem. Dieses neue System lässt aber noch Defizite erkennen. Das bolivarische Bildungssystem richtet sich sowohl an Erwachsene als auch an Schulpflichtige. Die Erwachsenenbildungsprogramme sind in so genannten
Misiónes organisiert. Sie sind nach dem Generalstreik im Frühjahr 2003 angelaufen und werden dezentral angeboten:
Misión Robinson I ist ein Alphabetisierungsprogramm für Erwachsene, an dem bis Ende 2005 fast 1,5 Millionen Personen teilgenommen haben und bietet Kurse zur Erlangung eines Primarschulabschlusses (6. Klasse) an. Ergänzend dazu gibt es noch die
Misión Robinson II. An diesen Kursen haben im Jahr 2005 600.000 Personen teilgenommen.
Misión Ribas ist ein Erwachsenenbildungsprogramm zur Erlangung eines Sekundarschulabschlusses (Abschluss nach der 11. Klasse). Darüber hinaus gibt es noch das Programm
Misión Sucre.
[86]
2003 wurde die
Universidad Bolivariana de Venezuela gegründet, an der im Gegensatz zur nationalen Uni alle Interessenten mit Sekundarschulabschluss studieren können. An dieser Uni existieren zur Zeit 11 entwicklungstechnisch relevante Studiengänge (zum Beispiel Gemeindemedizin, Sozialarbeit, Pädagogik, Jura). Die Ausbildung besteht paritätisch aus universitären und praktischen Anteilen. Da die bolivarianische Uni nicht alle Interessenten aufnehmen kann, wurden dezentral Studierzirkel eingerichtet, die von Dozenten, Studenten höherer Semester sowie über Fernkurs versorgt werden. Die dezentrale Hochschulausbildung ist der Inhalt der
Misión Sucre.
In den Armenvierteln werden bolivarianische Vorschulen, Grundschulen und Sekundarschulen errichtet. Die Schulen sind perspektivisch als Ganztagsschulen konzipiert. An der Konzeption der Schulen sollen alle Beschäftigten (Lehrer, Psychologen und Handwerker) beteiligt werden. Die Schulen sollen Schulkleidung, 2 Mahlzeiten am Tag und die medizinische Versorgung der Kinder bereitstellen. Lerninhalte sind nicht nur die gewöhnlichen Schulfächer, sondern auch die Bewältigung des Alltags.
Im Jahr 2003 wurden 2800 neue Schulen gegründet, in denen die Konzeption teilweise schon verwirklicht ist. Laut der NGO
Organisation for the Defence of the Right to Education versuchen Schuldirektoren im Bundesstaat
Anzoátegui mit schlechter Sicherheitslage jedoch illegal, Schulgebühren für den Unterricht zu verlangen und schlechtere Schulqualität anzubieten als in offiziellen Erklärungen.
[87]
Ab dem Jahr 2009 werden Schüler an über 1000 Schulen in Venezuela ab der ersten Klasse im Umgang mit Computern unterrichtet. Die Schulen sind mit Laptops ausgestattet, auf denen eine eigene
Linux-Distribution namens
Canaima installiert ist. Ab März 2010 sollen alle 5.700 Grundschulen des Landes entsprechend ausgestattet sein.
[88] Bis Dezember 2012 wurden 30 000 Schüler mit diesen Computern ausgestattet.
[89]
Venezuela ist mit Bolivien, Paraguay, Ecuador, Guyana und Surinam, eines der südamerikanischen Länder, die an der PISA-Studie nicht teilnehmen.
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Gesundheit
Durch ein Projekt der Regierung, an dem zuerst nur 2000 kubanische, später auch einheimische Ärzte teilnahmen, konnte die Versorgung der Bevölkerung, besonders der ärmsten Schichten, angehoben werden. Ergänzend wurde ein Ernährungsprojekt gestartet, das die Versorgung der Armen mit Lebensmitteln in den Mercal- Märkten zu subventionierten Preisen sicherstellt.
Medizinische Versorgung
Mitte 2003 begann die
Misión Barrio Adentro (tief im Viertel) zum Aufbau einer flächendeckenden kostenlosen medizinischen Versorgung. Ende 2006 arbeiteten in dem Programm 20.000 kubanische und 4.000 venezolanische Ärzte, um in den Armenvierteln die Gesundheitsversorgung aufzubauen. Die Versorgung ist kostenlos, die Medikamente werden vom Staat zur Verfügung gestellt. Die Medizinstationen werden aus einem Baukastenset errichtet, welches aus einer kleinen Praxis und einer kleinen Wohnung besteht. Die Bevölkerung wird durch je einen kubanischen und einen venezolanischen Arzt (beziehungsweise Studenten höheren Semesters) versorgt. Nahziel ist, dass der kubanische Arzt nach zwei Jahren zurückkehren kann und der Venezolaner einen weiteren Venezolaner einarbeitet. Fernziel ist die Ausbildung von 200.000 Ärzten innerhalb von zehn Jahren, die dann ganz Lateinamerika versorgen sollen. Schon sechs Monate nach dem Start des Programms 2003 waren 3 Millionen Personen medizinisch versorgt.
Ernährung
In den Städten werden seit 2003 in selbst organisierten
Mercal-Märkten staatlich subventionierte Lebensmittel angeboten. Die Mercal-Märkte setzten 2005 landesweit 40 % der Grundnahrungsmittel und 20 % aller Nahrungsmittel um. Die Preise liegen zwischen 30 % und 70 % unter denen der normalen Läden. Ziel ist die flächendeckende Lebensmittelversorgung vor allem der armen Bevölkerung. 2006 gab es 14.000 Läden.
Ein weiteres Programm zur Verbesserung der Ernährungssituation der armen Bevölkerung sind die sogenannten
Casas de Alimentación (
Volksküchen), die in den
Barrios selbst organisiert werden und mit staatlicher Finanzierung kostenlos 2–3 Mahlzeiten zur Verfügung stellen.
Darüber hinaus wird seit dem Amtsantritt Chávez' die Verpflegung von Kindern in der Schule konsequent ausgebaut, um eine Ernährung auch ohne finanzielle Mittel sicherzustellen.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Venezuela