Die Geburt einer Bürgerpartei des 21. Jahrhunderts - Überlegungen zur „Alternative für Deutschland“
Wir werden in diesen Tagen Zeugen einer ungewöhnlichen Geburt. Geboren wird eine neue Partei, die dafür sorgen könnte, die bislang herrschenden politischen Kräfteverhältnisse bedeutsam und folgenreich zu verändern. Die Partei, die vor unseren Augen geboren wird, ist die „Alternative für Deutschland“ (AfD). Noch bevor der Geburtsakt erfolgreich abgeschlossen ist, hat dieses AfD schon für reichlich Furore gesorgt: bei der aufgeschreckten Konkurrenz des etablierten Parteienblocks CDUSPDGRÜNEFDP, in den Medien, in Talkshows, im Internet sowie mehr und mehr auch bei Wählern, die am 22. September über die Zusammensetzung des nächsten Bundestages bestimmen sollen. Was ist das für eine Partei, die da das Licht der politischen Welt erblickt?
Stellen wir erst einmal fest: Die Schwangerschaft hat weit mehr als neun Monate betragen. Denn diese neue Partei ist schon seit Jahren überfällig, es hat sich allerdings niemand so recht getraut, den Geburtsprozess in Gang zu setzen. Zu schwierig erschien vielen die Aufgabe, zu groß war die Angst vor den absehbar negativen Reaktionen des allmächtig erscheinenden politisch-medialen Komplexes. Selbiger war ja auch bestens munitioniert für das Auftauchen einer „rechtspopulistischen“ Partei, wie es in verschiedenen Variationen solche in den meisten Nachbarländern bereits gibt. Einer „rechtspopulistischen“ Partei wäre in Deutschland wohl auch schon in der Geburtsphase die Luft zum Atmen abgeschnürt worden. Aber es ist ja ganz anders gekommen – ganz anders, als das die Konkurrenten und Gegner einer neuen politischen Kraft erwartet haben. Ganz anders allerdings auch, als sich das die allermeisten vorgestellt haben, die eine neue Partei als Widerpart zum etablierten Parteienblock schon so lange ersehnt haben.
Denn nicht ein charismatischer Volkstribun oder abtrünniger Prominenter aus einer der etablierten Kräfte hat die neue Partei gegründet, sondern Professoren und Intelligenzler mit gutem Ruf und redlich erworbenen akademischen Titeln. Darauf waren die politische Klasse und ihre Zubringer in den Medien so wenig gefasst wie 1989 der SED-Staat auf jene Massen, die sich in den Straßen von Leipzig erst als „Wir sind das Volk“ erkannten und dann wieder ein gemeinsames Volk mit den Deutschen westlich von Mauer und Stacheldraht sein wollten. Aber so wie die dramatische Entwicklung in der untergegangenen DDR ihre Vorgeschichte hatte, so hat auch die Geburt der neuen Partei einen gesellschaftlichen Vorlauf.
Dieser handelt von massiven Enttäuschungen über eine offizielle Politik, deren lähmendes postdemokratisches Markenzeichen die sogenannte „Alternativlosigkeit“ geworden ist. Dieser Vorlauf beinhaltet natürlich auch das rapide anwachsenden Misstrauen gegen eine Euro-Währung, die bei einer Volksabstimmung in Deutschland nie und nimmer eingeführt worden wäre, und die tiefen Verunsicherung um abenteuerliche Rettungsschirme und Rettungskonferenzen, bei denen mit astronomischen Summen der Zusammenbruch des Euro um buchstäblich jeden Preis verhindert werden soll. In das Bewusstsein von Millionen hat sich zudem die Erkenntnis eingebrannt, dass die Parteien und Politiker gleich welcher Couleur in den Regierungen noch jedes Wahlversprechen, jede Zusicherung gebrochen haben.
Aus all dem und noch manchem anderen ist eine tiefe Distanz weiter Bevölkerungskreise zur Politik und den Parteien erwachsen. Wer sich in den letzten Jahren immer wieder in den unzähligen kritischen Internet-Foren bewegt hat, wusste schon: Da braut sich etwas zusammen. Aber was sich zusammenbraute und wie das aus dem Internet in die politische Realität entschlüpfen würde – das konnte keiner wissen, sondern bestenfalls erahnen. Nun wissen wir es besser, denn vieles deutet darauf hin, dass mit der „Alternative für Deutschland“ genau jene neue politische Kraft entsteht, die den besonderen Bedingungen des ökonomisch übermächtigen, aber politisch und geistig so stickigen Kernstaates der EU angemessen ist.
Stellen wir also die Frage noch einmal: Was ist das für eine Partei, die sich anschickt, die so erstarrt wirkende politische Landschaft in Deutschland zu erschüttern, ohne bislang überhaupt schon die organisatorischen und personellen Voraussetzungen für eine bundesweit aktionsfähige Partei zu haben? Die erste Antwort darauf lautet: Die AfD ist eine Partei, für die eine objektive und subjektive Notwendigkeit in Deutschland besteht - für diese Partei ist die Zeit schlichtweg reif. Ob die Partei reif für diese Zeit ist, muss sich allerdings noch weisen. Denn die die AfD kann bei Strafe des baldigen Scheiterns keine Nischen- oder Zeitgeistpartei wie die Piraten sein, sondern muss von der ersten Stunde an alle Weichen für eine Massenpartei neuen Typs stellen.
Warum? Weil das Kernthema Euro-Kritik letztlich in fast alle Themenfelder der Politik hineinführt – es ist zweifellos für Deutschland ein Thema, das für das weitere Schicksal dieses Landes in jeder Weise substantiell ist. Die etablierten Parteien und Mächte in Deutschland klammern sich ja nicht grundlos so verbissen und anscheinend uneinsichtig an diese Währung. Ob die Partei sich als reif für diese große Herausforderung erweist, wird entscheidend davon abhängen, wie die verschiedenen Strömungen, die in der AfD nun münden, miteinander auskommen, also ob sie ihre zweifellos vorhandenen Differenzen produktiv und konstruktiv entwickeln - oder ob diese Differenzen destruktive Sprengkraft erlangen werden.
Woher aber kommen diese Strömungen? Ohne Anspruch auf Vollzähligkeit: Da strömen in die AfD heimatlose Konservative, enttäuschte Christdemokraten, unzufriedene Liberale, frustrierte Freie Wähler, undogmatische Libertäre, moderate Nationale wie demokratische Rechte und zornige Patrioten, Sozialdemokraten mit Bodenhaftung, ehemals rechte und linke Protestwähler und natürlich viele, viele Menschen, die schon lange oder aber auch seit Ausbruch der akuten Euro-Krise den etablierten politischen Kräften den Rücken gekehrt haben. Soziologisch dürfte das Spektrum vom verbitterten deutschen Hartz4-Bezieher über Normalverdiener mit immer knapper werdender Haushaltskasse bis zu dem um sein angespartes Vermögen bangenden Freiberufler sowie von neuerlichen Steuererhöhungen bedrohten kleinen und mittelständischen Handwerkern und Unternehmern reichen.
Dass in diesem Spektrum derzeit die Professoren der Volkswirtschaft besonders zahlreich und prominent vertreten sind, ist ein Spezifikum der AfD, für das es aber eine einfache Erklärung gibt: Keine andere akademische Gruppe, schon gar nicht die in der etablierten Politik so sehr dominierenden Juristen, hat mehr Wissen über die verhängnisvolle ökonomische Fehlentwicklung – keine andere akademische Gruppe ist von dieser Fehlentwicklung in ihrem Selbstverständnis, ja ihrer Existenz aber auch so bedroht wie die Volkswirtschaftler. Sie sind übrigens nicht zufällig auch die einzige akademische Gruppe, bei der die Beziehung zum „Volk“ noch gut ersichtlich ist.
Wo so viele Strömungen sich zu einem Fluss vereinen wollen, muss allerdings von vornherein klar sein: Die AfD wird weder eine konservative Partei sein noch eine Ersatz-CDU oder eine bessere FDP. Sie wird keine nationale und rechte Partei werden, sie wird aber durchaus solche Positionen nicht einfach ausgrenzen aus Furcht vor der Macht der sogenannten „Politischen Korrektheit“. In der AfD muss auch Platz sein für traditionell sozialdemokratische Anliegen für sozial durchlässige Bildungs- und Aufstiegssysteme, dazu auch für konservative Ökologen, für die in den Grünen schon lange kein Platz mehr ist. Vor allem aber muss die AfD eine Partei der praktischen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Vernunft sein, die nicht jeder Mode und Verirrung des von den mehrheitlich linksliberalen Massenmedien gesteuerten Zeitgeistes hinterher hechelt.
Wenn die „Alternative für Deutschland“ Erfolg und Bestand haben will, dann muss sie eine Bürgerpartei neuen Typs, also die erste Bürgerpartei des 21. Jahrhunderts werden. Es gibt keinerlei Gewähr, dass die AfD das schafft. Nicht wenig spricht schließlich dagegen: Mangelnde Kompromissfähigkeit, Unerfahrenheit, personelle Querelen, fehlende Führungsstärke – all das und vieles mehr kann der jungen Partei schnell zum Verhängnis werden, von den zu erwartenden Stör- und Unterwanderungsversuchen etablierter politischer Kräfte einmal ganz abgesehen. Doch so wenig es diese Gewähr aufs Gelingen geben kann, ergibt sich doch erstmals in diesem 21. Jahrhundert die realistische Chance, eine solche Bürgerpartei neuen Typs zu bilden und zu stabilisieren.
Warum Bürgerpartei neuen Typs, was bedeutet das? Die Parteien alten Typs, wozu selbstverständlich auch die Grünen gehören, haben sich um Ideologien, Religionen, Besitzstände und soziale Bestreben formiert. Sie haben Organisationen geschaffen, die inzwischen allesamt ein Eigenleben und Eigeninteresse entwickelt, sich aber damit von weiten Teilen des Volkes entfernt haben und immer weiter entfernen. Umso mehr aber wurden diese Parteien und ihre Apparate zu Zuträgern und Vollstreckern bestimmter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Kräfte, die allesamt Minderheiten sind, aber über die politischen Parteien die Mehrheiten im Volk dominieren. Wie das funktioniert, dazu bietet die Euro-Politik beste Anschauung. Aber auch die Themen Einwanderung, Soziales, Energie usw. liefern Belege zuhauf dafür.
Wenn die AfD dem Anspruch gerecht werden will, eine Bürgerpartei neuen Typs zu werden, muss sie inhaltlich wie organisatorisch eine ‚atmende‘ Partei sein. Was es immer wieder einzuatmen gilt, sind die Bewegungen in der Realität Deutschlands. Diese unterscheiden sich mehr oder weniger stark von dem, was in den Massenmedien geduldet und verbreitet wird. Um ein Beispiel zu nennen: Kein vernünftiger, aufgeklärter Mensch will Homosexualität diskriminieren. Aber sind die Anliegen der homosexuellen Minderheit, deren Lobby bestens vernetzt ist, wirklich von solcher Wichtigkeit für die Gesamtgesellschaft, wie das in den Medien sich widerspiegelt? Ist es nicht für Millionen weit wichtiger, wie sehr die Inflation die Kaufkraft ihrer Renten wegfrisst oder die niedrigen Zinsen den Wert ihrer Lebensversicherungen mindert?
Eine Bürgerpartei wie die AfD soll und muss Platz für viele Menschen haben, die irgendwelchen Minderheiten angehören. Aber sie darf sich nicht zum Sprachrohr von Minderheiten machen lassen. Im konkreten Fall bedeutet das: Familien mit Kindern sind, wie überall auf der Welt, die Zukunft und die Basis der Gesellschaft. Wer sich anders entscheidet bzw. entscheiden muss, also keine Familie bilden will oder kann, ist ohne Wenn und Aber zu respektieren. Aber seine Entscheidung oder Schicksal darf kein Leitbild sein für eine Gesellschaft, die Bestand und Zukunft haben will. Das zu sagen und zu vertreten, ist nicht „rechts“, sondern ganz einfach vernünftig.
Eine ‚atmende‘ Partei muss stets bereit und in der Lage sein, Veränderungen und Bedrohungen nicht als Zumutungen, sondern als Herausforderungen zu betrachten. Es ist – um auch dafür ein Beispiel zu geben - derzeit völlig richtig, bei aller berechtigten Kritik an dem Euro-Wahnsinn nicht in blindwütige EU-Feindschaft zu verfallen. Die Situation kann sich aber anders darstellen, wenn in der EU antidemokratische Zentralisierungskräfte noch mehr als bislang schon an Macht gewinnen sollten und gar andere Staaten der EU kündigen. Dann wird auch die Bürgerpartei AfD „nationaler“ werden müssen, weil eben nur der Nationalstaat in Deutschland eine halbwegs kontrollierbare Demokratie möglich macht und zudem der einzige Garant für die Aufrechterhaltung des Sozialstaats ist. Letzteres wird oft genug fahrlässig ausgeblendet, die ständige Erinnerung daran könnte aber eine Trumpfkarte der AfD werden.
Kurzum: Wie „national“, wie „konservativ“, wie „liberal“, wie „sozial“ eine Bürgerpartei neuen Typs sein kann und muss – darüber sollten die wechselnden, nie starren Anforderungen der Realität entscheiden, nicht aber Ideologien und auch nicht organisierte, vernetzte Minderheiten. Das kann nur gelingen, wenn sich die Mitglieder dieser ‚atmenden‘ Partei zu dieser eine gewisse Distanz bewahren, ja sie geradezu pflegen. Als Vorteil kann in diesem Zusammenhang angesehen werden, dass gerade keine „charismatische“ Persönlichkeit die AfD dominiert und auch nicht in Sicht ist. Das verringert nämlich die Abhängigkeit von einer solchen Persönlichkeit ungemein und schafft größere Unangreifbarkeit. Die Bürgerpartei neuen Typs ist keine unfehlbare Heimat mehr. Sondern sie ist ein liebevoll zu behandelndes Instrument, um gesellschaftliche Wirksamkeit mittels politischer Macht zu erlangen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Das werden besonders all jene begreifen müssen, die von den Parteien alten Typs geprägt sind, nicht wenige über viele Jahre. Diese Mitglieder der AfD treffen derzeit auf viele von denen, die bislang überhaupt keine politisch-organisatorische Erfahrung haben oder sich in Internet-Foren aktiviert haben. Was bei den von Parteierfahrungen geprägten und oft von diesen auch beschädigten Mitgliedern eine Last darstellt, ist bei den anderen Mitgliedern eher allzu untergewichtet. Hier die richtige Balance zu finden, ist für die AfD von existenzieller Bedeutung. Wird diese Balance verfehlt, kommt eine Ersatz-CDU oder Ersatz-FDP heraus, also bestenfalls eine eurokritische neue bürgerliche Partei, allerdings keine Bürgerpartei neuen Typs des 21. Jahrhunderts. Oder es entsteht eine politische Sternschnuppe wie die „Piraten“: schnell hell erglüht, fast ebenso schnell verglüht.
Es ist deshalb unverzichtbar, dass auf den Gründungsparteitagen von Bund und Ländern Frauen und Männer in die Vorstände gewählt werden, die mit politischer Kompetenz, Lebenserfahrung, Sensibilität, aber auch Durchsetzungswillen diese Balance bis zur Bundestagswahl und natürlich auch darüber hinaus zu leisten vermögen. Die Aufgabe, der sich die Vorstandsmitglieder stellen müssen, ist schwierig, aber lösbar. Denn sie sollten sich dabei motivieren und inspirieren lassen von den Worten, mit denen AfD-Sprecher Konrad Adam die schon legendäre Veranstaltung in Oberursel eröffnete: „Die Zeit ist reif“.
Quelle:
http://europablog.net/post/469228283...erts#gsc.tab=0