Ermittler: Schwer verletzter Boston-Bomber bei Festnahme unbewaffnet
Die Attentäter von Boston waren schießwütige Terroristen, die auf Menschenleben keine Rücksicht nahmen, haben wir von Fahndern und Qualitätsmedien gelernt. Deswegen lieferten sie sich auch Schießereien mit der Polizei, die mit dem Tod des einen Terroristen endeten. Der andere erlitt mehrere Schussverletzungen, die er sich zum Teil selbst beibrachte, behaupteten bisher die Behörden. Falsch, enthüllten nun Ermittler: In Wirklichkeit sei Dschochar Zarnajew bei seiner Festnahme unbewaffnet gewesen. Hat also die Polizei versucht, ihn umzubringen?

Die beiden waren eiskalt und skrupellos: Erst zündeten sie beim Boston-Marathon am 15. April 2013 zwei Bomben, wobei drei Menschen getötet und über 200 verletzt wurden. Dann, auf ihrer Flucht, kidnappten sie einen Autofahrer und lieferten sich wilde Schießereien und Schlachten mit der Polizei. Einer der Männer (Tamerlan Zarnajew) soll dabei schwer verletzt zurück geblieben
sein, während dem anderen (Dschochar) mit dem Wagen die Flucht gelungen sei, wobei er seinen älteren Bruder überfahren habe. Dieser soll bald darauf im
Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston verstorben sein.
Der Wagen des flüchtigen Dschochar sei später mit einem Sprengsatz im Inneren aufgefunden worden. Der 19-jährige Dschochar Zarnajew selbst sei letztendlich am Abend des 19. April 2013 in einem Boot auf einem Grundstück in Watertown gefunden worden. Nach einer weiteren Schießerei sei er aus dem Boot herausgeholt und mithilfe von Ausweisen, Kreditkarten und anderen Merkmalen identifiziert worden. Bei dem Schusswechsel habe er Verletzungen an Kopf, Hals, Beinen und Händen erlitten. Bei einer Durchsuchung seines Studentenzimmers habe man am 21. April einen großen »Feuerwerkskörper« (»pyrotechnic«) sowie eine schwarze Jacke und einen weißen Hut gefunden, wie ihn Bomber 2 beim Boston-Marathon am 15. April getragen habe.
Soweit die Aussagen eines
FBI-Agenten namens Daniel R. Genck, der die Vorfälle in einer Eidesstattlichen Erklärung schilderte.
Sie ist bis heute das wichtigste Beweisdokument vor Gericht. Auch nach Angaben des Bostoner Polizeichefs Ed Davis soll der jüngere Zarnajew aus seinem Bootsversteck heraus vor seiner Festnahme auf die Beamten geschossen haben. Doch nun sind erhebliche Zweifel an dieser Schilderung aufgetaucht. Die Aussagen des Polizeichefs und des
FBI-Agenten sind möglicherweise das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen. Denn laut
Huffington Post erzählten zwei Ermittler der
Associated Press, dass in dem Boot gar keine Waffe gefunden worden sei (
Huffington Post, 24.4.2013). »Da die Beamten nicht autorisiert sind, über die laufenden Ermittlungen zu sprechen, sprachen sie nur unter der Bedingung der Anonymität«,
so die Nachrichtenseite.
Genickschuss für einen Verdächtigen?
Laut zahlreichen Strafverfolgern hatte der Boston-Verdächtige »keine Waffe, als sein Versteck von einem Kugelhagel getroffen wurde«,
schrieb auch die Washington Post. Und nicht nur das. Dazu passt nämlich, dass es das
FBI auch »ablehnte, mitzuteilen, was die Schüsse veranlasst hatte«. Ein starkes Stück. Mit anderen Worten verschwimmen hier plötzlich die Rollen von Ermittlern und Verdächtigen, so dass sich das gesamte Verhältnis zwischen Strafverfolgern und Verdächtigen wandelt. Aus Strafverfolgern drohen damit selbst Verdächtige und aus den Verdächtigen Opfer zu werden – zumindest, was Dschochars Schusswunden angeht. Wie und warum kam der junge Zarnajew zu seinen Schussverletzungen, wenn er selbst doch gar nicht auf die Polizei hätte schießen können? Gab es bei seiner Festnahme überhaupt eine Schießerei? Oder haben die Beamten auf einen Wehrlosen geschossen? Haben sie gar versucht, ihn hinzurichten oder zu ermorden? Denn schließlich kann man das Wort »neck« (Hals)
auch noch anders übersetzen, nämlich mit »Genick«. Bei einem Genickschuss handelt es sich dabei eher um eine militärische oder polizeiliche Hinrichtungsmethode als um eine Schussverletzung in einem Feuergefecht. Und wenn Dschochar gar nicht schießen konnte – wer hat ihm dann den Hals- oder Genickschuss beigebracht und warum?
Die fragwürdigen Geständnisse
Betrachtet man das Gesamtbild der Ermittlungen und Beschuldigungen, ergeben diese Informationen zusammen mit dem Tod seines älteren Bruders Tamerlan ein schlüssiges Bild. Demnach war es möglicherweise nie beabsichtigt, die beiden lebend festzunehmen. Vielmehr wollte man demzufolge von Anfang an zwei tote Verdächtige, um diese leichter beschuldigen und die Attentate »aufklären« zu können. Dass Dschochar überlebte, ist vielleicht ein ähnlicher Unfall wie der, dass Beate Zschäpe aus ihrem explodierenden Haus fliehen konnte, nachdem ihre angeblichen Komplizen »Selbstmord« begangen haben sollen. Aber hat nicht der verletzte Dschochar Zarnajew nach seiner Festnahme am 19. April 2013 seine Schuld an den Attentaten zugegeben? »Auf intensive Befragungen am Krankenbett durch Bundesagenten hin« habe der junge Zarnajew gestanden, »nahe der Ziellinie des Boston-Marathons Sprengsätze deponiert zu haben«,
berichtete die Nachrichtenseite salon.com. Berichten zufolge habe der Beschuldigte zugegeben, alleine mit seinem Bruder gehandelt zu haben, ohne Verbindungen zu anderen Terrorgruppen. Laut
Washington Post vom 23. April hat der 19-Jährige den Ermittlern mitgeteilt, »dass ihn und seinen Bruder die amerikanischen Kriege im Irak und in Afghanistan motiviert hätten, die Anschläge durchzuführen«. Aber ist das nicht eine seltsame Motivation? Glaubten die beiden Brüder wirklich, auf diese Weise einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten führen zu können? Und wozu? Sicher waren und sind die Kriege der USA im Irak und in Afghanistan verwerflich. Aber der Krieg gegen den Irak endete offiziell 2011 mit dem Rückzug der amerikanischen Truppen. Die US-Kampfhandlungen in Afghanistan sollen 2014 beendet werden. Warum also die USA erneut gegen Muslime aufstacheln? Denn eine andere Wirkung konnten die Attentate ja kaum haben.
Vernehmung eines Schwerverletzten
Die Wahrheit ist: Die gesamte Vernehmung Zarnajews an seinem Krankenbett ist in einem kritischen Licht zu sehen. Medienberichten zufolge wurde Dschochar Zarnajew bereits kurz nach dem Aufwachen aus der Narkose verhört,
obwohl er unter Schock und »unter dem Einfluss starker Betäubungsmittel« stand. Demzufolge war der Mann höchstens eingeschränkt vernehmungsfähig – wenn überhaupt. So konnte er aufgrund seiner Verletzungen auch nicht sprechen, sondern sich nur schriftlich äußern. Als sei dies noch nicht genug, wurde der Festgenommene auch noch seiner fundamentalen Rechte als Beschuldigter beraubt und stand (bzw. lag) der Phalanx der Ermittler ohne jeden Rechtsbeistand gegenüber. Demnach wollte »die Obama-Regierung Dschochar Zarnajew zunächst befragen,
ohne dass ihm seine Rechte verlesen werden und ohne dass ein Anwalt zugegen ist« – ein Verfahren, das gegen eine ganze Reihe von Menschenrechten verstößt.
Auch laut Spiegel Online wurde Zarnajew »vorerst ohne Rechtsbeistand und ohne ihn auf sein Schweigerecht hinzuweisen« befragt. Grundlage soll »eine Ausnahme von in der Verfassung garantierten Bürgerrechten bei Fällen nationaler Sicherheit und bei potenziellen Terrorvorwürfen« sein, die nur für 24 Stunden gelte.
Der Daily Mail zufolge hat man diese Frist weitgehend ausgeschöpft, indem man Zarnajew 16 Stunden lang verhörte – eigentlich unvorstellbar bei einem frisch operierten Schwerverletzten. Vermutlich hat man ihm dabei erklärt, dass sein Bruder tot ist, dass ihm selbst mehrfacher Mord und Körperverletzung vorgeworfen werden und ihm die Todesstrafe bzw. lebenslange Haft drohen. Normalerweise geschieht das nicht, ohne den Beschuldigten darauf hinzuweisen, dass er diese schrecklichen Aussichten mit seiner Kooperation und mit Hilfe eines Geständnisses verbessern kann. Mit anderen Worten fällt es so natürlich leicht, Beschuldigten Geständnisse abzuringen oder unterzuschieben. Was auch immer der Mann gesagt oder »gestanden« hat, kann in einem ordentlichen Hauptverfahren vor einem Gericht als Beweis jedoch kaum zu gebrauchen sein.
Täterwissen Fehlanzeige
Schwere Verletzungen, Medikamente, Schock, Einschüchterung, fehlender Rechtsbeistand: Mit anderen Worten waren die Bedingungen für ein brauchbares und glaubwürdiges Geständnis Dschochar Zarnajews denkbar schlecht – aber für ein falsches Geständnis geradezu »ideal«. Dazu kommt noch, dass auch nirgends berichtet wurde, dass der verdächtige Dschochar Zarnajew eine unverzichtbare Komponente für ein glaubwürdiges Geständnis geliefert hätte – nämlich so genanntes »Täterwissen«. Damit sind Tatsachen gemeint, die nur den Tätern und der Polizei bekannt sein können. Beispielsweise Einzelheiten über den Bau der Bombe, die Zutaten, den Auslösemechanismus usw. Das Täterwissen ist gewissermaßen ein »Ausweis«, mit dem sich ein Täter gegenüber den Strafverfolgern ausweisen kann. Aufgrund der geschilderten Umstände und da offenbar auch solches Täterwissen nicht vorhanden war, dürfte Dschochar Zarnajews »Geständnis« zu den fadenscheinigsten in der ganzen US-Rechtsgeschichte zählen. Inzwischen hat er, kurz nachdem man ihn doch noch über seine Rechte als Beschuldigter aufgeklärt hatte, auch noch jede Kommunikation mit den Ermittlern eingestellt.
Zarnajews Anwalt könnte »das Geständnis seines Mandanten vor Gericht für ungültig erklären lassen«,
ahnten deshalb Medien wie 20 Minuten Online und fragten: »Ist Zarnajews Geständnis wertlos?« Das gilt auch für eine weitere Aussage, die der Öffentlichkeitals »Geständnis« verkauft wurde: »Die Aussage des Autofahrers, den die beiden Brüder bei ihrem Fluchtversuch als Geisel genommen hatten. Um ihn einzuschüchtern, soll Tamerlan geprahlt haben: ›Wir haben gerade einen Polizisten getötet. Wir haben den Bombenanschlag auf den Marathon verübt.‹« (
20min.ch, ebenda) Aber was ist dieses Geständnis wirklich wert? In einem Rechtsstaat nicht viel. Denn erstens handelt es sich nur um ein »Geständnis vom Hörensagen«, nicht vom Angeklagten selber. Zweitens kann man den Beschuldigten selber nicht mehr fragen, weil er tot ist. Drittens verdient es die Bezeichnung »Geständnis« auch deshalb nicht, weil es nur eine platte Behauptung, aber keine Schilderung enthält. Viertens offenbart sich auch darin kein Täterwissen, eine wichtige Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit eines Geständnisses. Aufgrund seiner Plumpheit klingt es vielmehr gerade so, wie von den Behörden erfunden...