Helen Thomas: Ihr Platz in Reihe eins bleibt leer
21.07.2013 | 18:22 | ANNA-MARIA WALLNER (Die Presse)
Zehn US-Präsidenten hat Helen Thomas als White-House-Korrespondentin erlebt. Zum Verhängnis wurde ihr eine Anti-Israel-Aussage. Nun starb sie mit 92 Jahren.
Aus dem Archiv:
Wäre Helen Thomas nicht vor drei Jahren in den Ruhestand getreten, vermutlich wäre sie auch am vergangenen Freitag wieder auf ihrem Platz in der ersten Reihe gesessen, als US-Präsident Barack Obama überraschend und unangekündigt im Briefing Room des Weißen Hauses erschien. Und obwohl Obama nach seiner Rede zum Freispruch jenes weißen Mannes, der den schwarzen Teenager Trayvon Martin erschossen hat, keine Fragen beantworten wollte – Helen Thomas hätte dennoch eine gestellt. Eine Antwort hätte sie wohl nicht bekommen, doch daran war die Journalistin längst gewohnt.
Fragen stellen dürfe man den jeweiligen Präsidenten zu allen Themen, sagte sie in einem Interview mit der „Wiener Zeitung“ 2009,
„man bekommt halt keine Antworten“. Ziemlich genau ein Jahr nach diesem Interview stolperte sie selbst, die Expertin für kritische Fragen, über eine Antwort. In einem Interview mit einem Rabbiner, der sie um einen Kommentar zu Israel bat, sagte sie: „Tell them to get the hell out of Palestine.“ Wohin sollten die Juden gehen, fragte der Rabbi? „They should go home – sie sollen nach Hause gehen, nach Polen, Deutschland, Amerika und überall sonst.“ Das Zitat wurde ihr zum Verhängnis, weil es viele als antisemitisch werteten. Ari Fleischer, Ex-Sprecher von George W. Bush, meinte, das sei so, „als würde man die Schwarzen auffordern, nach Afrika zu gehen“. Schließlich beendete diese Affäre nach 67 Jahren sogar ihre Karriere. Helen Thomas entschuldigte sich halbherzig für ihre Aussagen und zog sich, kurz vor ihrem 90. Geburtstag, aus dem White House Press Corps zurück.
Barack Obama sagte: „Nächste Frage“
Dass man in den USA die Politik Israels nicht kritisieren dürfe und sofort das Antisemitismus-Etikett aufgeklebt bekomme, hat die als linksliberal geltende Journalistin lange vor diesem Ereignis immer wieder kritisiert. Mit einer Israel-kritischen Frage machte sie sich bei Barack Obama gleich in seiner ersten Pressekonferenz 2009 unbeliebt. Sie wollte wissen, ob ein Land auf der arabischen Halbinsel nukleare Waffen besitze und zielte dabei auf Israel ab. Der Präsident sagte: „Ich will darüber nicht spekulieren.“ Und: „Nächste Frage.“
Kritisch sah die White-House-Korrespondentin, die in ihrem Berufsleben insgesamt zehn US-Präsidenten begleitete, von
John F. Kennedy bis Obama, vor allem den Irak-Krieg. In George W. Bushs Amtszeit lieferte sie sich regelrechte Streitgespräche mit ihm und seinen Presseleuten, wegen ihrer hartnäckigen Kritik am Einmarsch im Irak rief Bush sie bei den Pressekonferenzen zwischen 2003 und 2006 nicht mehr auf.
Respekt zollte man der Doyenne des amerikanischen Journalismus dennoch. Nicht nur wegen ihrer langen Berufserfahrung und ihrer bekannt scharfzüngigen Aussagen, sondern auch, weil sie sich früh in der Männerdomäne Politikjournalismus durchsetzte. Sie war die erste Frau, die Mitglied des renommierten Gridiron-Presseklubs wurde und erste Korrespondentin im Weißen Haus. Den Großteil ihrer Karriere arbeitete die klein gewachsene Tochter libanesischer Einwanderer, die selbst kinderlos blieb, als Korrespondentin für die Nachrichtenagentur United Press International (UPI). Nicht selten stellte sie bei Pressekonferenzen als Erste eine Frage – und bedankte sich am Ende stets mit den Worten: „Thank you, Mr. President.“ Der blaue Sitz in der ersten Reihe des Press Room im Weißen Haus war der einzige, der eine Namensplakette trug. Gleich zweimal hatte sie Gastauftritte in den Hollywood-Filmen „Dave“ und „Hallo, Mr. President“; 2006 drehte die Dokumentarfilmerin Rory Kennedy (und Tochter von JFKs Bruder Robert F. Kennedy) eine Doku über sie. Bei Bill Clintons Abschied aus dem Weißen Haus 2001 scherzte dieser: „Präsidenten kommen und gehen. Aber Helen bleibt.“
Als die UPI im Jahr 2000 vom Gründer der Moon-Bewegung übernommen wurde, beendete Thomas ihre Tätigkeit für die Agentur und wechselte als Kolumnistin zur Hearst Corporation (u. a. „Houston Chronicle“, „San Francisco Chronicle“).
Aus ihrer eigenen Meinung, etwa ihrer Unterstützung für die Palästinenser, hatte die Journalistin nie ein Hehl gemacht. Im hohen Alter wurden ihre Ansichten, wie Beobachter feststellten, immer engstirniger, ihre Fragen zum Teil absurd und schrullig.
„Kennedy war inspirierter als Obama“
Nach einem Vergleich zwischen Kennedy und Obama, dem ersten und dem letzten Präsidenten in ihrer Laufbahn, gefragt, sagte sie einmal: „Es gibt Ähnlichkeiten. Beide sind sehr eloquent, können perfekt mit der englischen Sprache umgehen. Aber Kennedy war bei Weitem inspirierter.“ Gern gab sie zu, dass JFK ihr Lieblingspräsident war.
Nun gab der Journalistenklub Gridiron bekannt, dass Thomas am Freitag nach langer Krankheit und nur zwei Wochen vor ihrem 93. Geburtstag in ihrem Haus in Washington verstarb. Obama würdigte sie als „wahre Pionierin“, die „für Generationen von Frauen im Journalismus Türen geöffnet und Hürden eingerissen“ hat.